GLAUBE
Gott. Welt. Mensch.
Gott liebt uns
Immer weniger überzeugt mich das weitverbreitete Credo, dass ein »Ich« das einzig wesentliche Gegenüber zum »Du« Gottes ist. Natürlich bleibt ein »Ich glaube« von zentraler Bedeutung. Zugleich aber beziehen sich viele Aussagen der Bibel auf die Gemeinschaft, sie sind an ein »Wir« adressiert. »Ihr seid das Salz der Erde«, und es ist womöglich nicht angemessen, solche Aussagen allzu sehr auf die:den einzelne:n Gläubige:n oder sogar auf sich selbst zu deuten. Gemeint ist vielmehr die Gemeinschaft der Glaubenden. »Ihr seid das Licht der Welt«, allein habe ich nicht genügend Strahlkraft. »Gebt ihr ihnen zu essen«, ich allein schaffe nicht, was möglich ist. »Gehet hin, lehret sie, taufet sie«, aber bitte nicht allein, sondern aus einer gemeinschaftlichen Bewegung heraus. »Siehe, ich bin bei euch alle Tage«, und vielleicht entfaltet sich Gottes Segen erst dann vollständig, wenn er auch auf das »Wir« der Gemeinschaft trifft.
Überforderte Christenheit
Eine zentrale Aussage des christlichen Glaubens lautet, dass in Jesus Christus das Heil liegt, mit dem die Kluft zwischen Gott und Mensch überwunden ist. Leid, Kreuz und Auferstehung haben eine feste Brücke zwischen beiden gemauert. Statt daran zu glauben, setzt sich die Christenheit seit Anbeginn mit der Frage auseinander, wie man Teilhaber:in des Heils wird.
Die katholische Kirche hat zu einer Lehre gefunden, die dem Ritual vertraut. Die Wirksamkeit z. B. von Taufe, Abendmahl und Beichte liegt in der Durchführung der heiligen Handlung. Die innere Haltung des/der Gläubigen spielt dabei keine Rolle. Das Ritual verfügt über eine magische Kraft, es wirkt aus sich selbst. Hat jemand die Eucharistie empfangen, sind ihm/ihr die Sünden faktisch vergeben und die Verbindung zwischen Gott und Mensch ist hergestellt. Die damit verbundene Gefahr besteht darin, dass das Heil an eine kirchliche Zeremonie gebunden ist. Kirche wird zur Bedingung, um am Heil teilzuhaben. Die Kirche ist wesentlicher Bestandteil der Brücke zwischen Gott und Mensch.
Martin Luther betont den persönlichen Glauben. Die innere Haltung zur kirchlichen Handlung rückt in den Mittelpunkt. Die Wirksamkeit eines Rituals hängt vom individuellen Vertrauen auf Gottes Handeln im Ritual ab. Die Kirche ist Dienerin mit dem Auftrag, immer wieder Gelegenheiten für die persönliche Glaubensbestätigung zu schaffen. Auch unabhängig vom Ritual setzt das eigene Heil den eigenen Glauben voraus, weil mit dem Glauben die gewünschte Verbindung zwischen Gott und Mensch in Kraft getreten ist. Der Glaube ist wesentlicher Bestandteil der Brücke zwischen Gott und Mensch.
Die geniale Schlichtheit dieses Glaubens erweist sich jedoch bis heute immer wieder als Überforderung für die Christ:inn:en. Wenn so viel vom eigenen Glauben abhängt, dann liegt der Zweifel nahe, ob der eigene Glaube stark genug ausgeprägt ist, und es stellt sich die Frage, woran dies gemessen werden kann. Durch die Hintertür etablieren sich auch in den protestantischen Kirchen und insbesondere in freikirchlichen Strömungen inoffizielle Regelwerke als Gradmesser des individuellen Heils. Ein rechtschaffenes Leben, das eigene kirchliche Engagement, das eigene Bekehrungserlebnis, die Innigkeit der persönlichen Beziehung zu Jesus, die Zugehörigkeit zu einer engen Gemeinschaft, der Verzicht auf Sex vor der Ehe, die Betonung der zehn Gebote, die Wertschätzung der Bergpredigt, die unverrückbare Anerkennung der Bibel als Wort Gottes, das mildtätige Handeln – eine Vielzahl klarer Regeln oder auch nebulöser Kriterien drängen in zahlreichen Fällen das schlichte Glaubensbekenntnis an den Rand. Der/die einzelne Gläubige mit dem eigenen Tun, Lassen und Glauben wird zum wesentlichen Bestandteil der Brücke zwischen Gott und Mensch.
Ich frage mich, ob die Christenheit der Zuwendung Gottes grundsätzlich zu wenig zutraut – wenn nicht sogar misstraut. Womöglich kommt darin auch eine typische Anmaßung zum Ausdruck: Es kann ja nicht sein, dass Mensch und Kirche rein gar nichts zum individuellen Heil beitragen können.
Dabei könnte alles so einfach sein: Jesus Christus ist die Brücke zwischen Gott und Mensch. Punkt. Weder Kirche noch Ritual noch Glaube noch das individuelle Christsein sind Teil dieser Brücke. Gottes Heilshandeln in Jesus Christus bedarf keiner Ergänzung. Es ist vollkommen und Fakt und liegt über dieser Welt als Angebot der engsten Verbindung zwischen Schöpfer und Geschöpf. Der Glaube ist Freude, Dankbarkeit und Vertrauen, weil das Heil in Jesus Christus auch mir gilt. Mehr nicht. Die Kirche mit Ritual und Predigt bleibt Dienerin mit dem Auftrag, Gelegenheit zur Vergewisserung zu schaffen. Mehr nicht. Christ:inn:en können erleichtert ausatmen, weil Gott alles tut und nichts von Kirche und Individuum abhängt.
Gott hat die Kluft zwischen ihm und mir überwunden. Daran glaube ich. Thema durch.
Gottes Bedingungslosigkeit
Wenn es wirklich so ist, dass uns Gottes Liebe und das Heil in Jesus Christus bedingungslos gelten, dann müssten der individuelle und der kollektive Glauben dem gerecht werden und ebenfalls auf Bedingungen verzichten. Die praktische Übung dazu ist schnell erklärt. Ein Glaube, der von der Bedingungslosigkeit des göttlichen Heilshandelns ausgeht, kommt ohne folgende Formulierungen aus:
»Wenn …, dann …«
»… müssen …«
Glaubenssätze mit diesen Floskeln sind ein sicheres Indiz dafür, dass der eigene Glaube nicht auf Gottes Bedingungslosigkeit vertraut. Auf diese Formulierungen zu verzichten, ist eine lebenslange Aufgabe. Dass sie im allgemeinen Sprachgebrauch weiterhin unverzichtbar sind, zeigen die Satzgefüge in diesem Beitrag.
Ich bin nicht religiös
Um das Wesen der Religion zu verstehen, kann man sich ihr von verschiedenen Seiten nähern. Im Herzen jeder Religion lebt das »Heilige«, womit ein Gott, eine Göttin, die Götter, der Kosmos, die Sterne, die Natur, die Ahnen oder der Kreislauf des Seins gemeint sein kann bzw. einfach alles, »woran du dein Herz hängst« (Martin Luther). Der Wesenskern der Religion besteht im Verhältnis zwischen dem Heiligen und dem/der Gläubigen. Das Heilige bestimmt die Regeln, der/die Gläubige versucht, sich danach zu richten. Die zehn Gebote zu halten, fünfmal am Tag gen Mekka geneigt zu beten, das eigene Karma zu verbessern, sich meditierend in das Heilige zu versenken oder Opfer darzubringen, sind bekannte Beispiele. Es geht darum, dem Heiligen zu gefallen, ihm zu genügen, es gnädig zu stimmen, sich zu verbessern bzw. sich zu heiligen. Und es geht darum, in letzter Instanz einen himmlischen, kosmischen, vervollkommneten bzw. heiligen Zustand zu erreichen. Wenn die Regeln eingehalten wurden und das Heilige es zulässt, gelangt man ins Paradies, steigt hinab zu den Ahnen oder geht im Kosmos auf und wird eins mit dem Heiligen. Zum Wesen der Religion gehört also eine Leistung des/der Gläubigen, die er/sie dem Heiligen gegenüber zu erbringen hat. Es ist der/die Gläubige, der/die sich auf das Heilige zubewegt.
Das Christentum geht vom Gegenteil aus. Der christliche Glaube besagt, dass sich das Heilige auf den Menschen zubewegt und dafür selbst Mensch wird. Der Mensch muss nicht zu Gott gelangen, sondern Gott kommt zum Menschen. Der Gott der Christenheit befreit den Menschen von religiösen Regeln, weil der Mensch es ohnehin nicht schafft, sie einzuhalten und perfekt zu werden. Alle religiösen Regeln sind durch Jesus Christus erfüllt. Gott hat den Menschen zwar nach seinem Ebenbild geschaffen, aber das Göttliche liegt nicht in seiner Natur. Der Mensch ist unvollkommen und oftmals böse, aber Jesus Christus hat das Hindernis der Unvollkommenheit und des Bösen aus dem Weg geräumt. Gott liebt den Menschen so, wie er ist. Der Mensch kann sich mit religiösen Übungen abstrampeln, wie er möchte, es bringt ihn nicht näher zu Gott, weil Gott bereits nahe ist. Christ:inn:en glauben, dass man nichts tun muss, um Gott zu gefallen. Die Menschen gefallen ihm sowieso und in den Himmel kommen sie auch. Aus dieser Perspektive ist das Christentum keine Religion, sondern die Verkehrung der Religion.
ab·hängen
jesus hängt
seinen job
an den nagel
sonnenaufgang
der tag entlässt der sonne knebel
gleißend licht fließt durch den nebel
wie einst der vater ließ den sohn
entfliehn dem tod, gab ihm den thron
so auch bei uns trotz aller sorgen
scheint hell der herr, sorgt für ein morgen
rat·los
er setzt eine grenze im garten
und der mensch überschreitet sie
er schickt eine flut über die welt
und das übel ertrinkt nicht
er schafft gesetze zu aller wohl
und sie werden missachtet
er schenkt ihnen das gelobte Land
und sie murren
er ruft auf zur umkehr
und die boten verhallen
er sendet seinen sohn
und man schlägt ihn ans kreuz
er sucht nach einer lösung
pustelblume
geistliche besserwisserei führt zu einer eitrigen pustelkrone der seele. die verkündigung besonders frommer apustel wirkt erlösungshemmend und hindert die freie ausbreitung des heiligen geistes. im fortgeschrittenen stadium mutieren betroffene zu larifarisäern. die krankheit ist aneckend und breitet sich vorzugsweise unter gesetzesstreuern aus.
gewissheit
es gibt einen gott
mit an wahrscheinlichkeit
grenzender sicherheit
Glaube
Timon
Sie kamen in der Hitze des späten Nachmittags. Das flirrende Licht und der Staub der Straße tauchten die Männer in eine unwirkliche Gestalt, als würden ihre Füße den Boden nicht berühren, als hätte die Glut des Tages ihre Leiber verflüssigt.
Timon saß im Schatten seines Elternhauses und sah sie schon von weitem. Er ahnte, wer da kam, denn jedermann wusste, dass Jesus von Nazareth und seine Jünger in der Gegend waren. Viele aus dem Dorf hatten sich gefragt, ob sein Weg auch hierher führen würde.
Mit dem linken Arm und dem linken Bein rückte Timon seinen Körper zurecht, um besser sehen zu können. Er stand nicht auf, er lief nicht durchs Dorf, um die Ankunft der Reisenden anzukündigen. Timon war halbseitig gelähmt. Rechts. Nur die linke Seite gehorchte seinem Willen.
Zielstrebig gingen Jesus und seine Jünger auf das winzige Wäldchen zu, das dem Kahlschlag der römischen Rodungen entkommen war. Auch die Römer wussten zu schätzen, wenn ein Brunnen im Schatten lag.
Nun wurde Timon doch unruhig, denn die Männer verschwanden unter den Bäumen, ohne dass sie jemand entdeckt hätte – außer ihm. Gerade wollte er nach seiner Mutter rufen, als ein Mädchen aus dem Wald huschte. Die kleine Martha lief, als gäbe es einen Lorbeerkranz zu gewinnen.
Timon lächelte, und er lächelte nicht oft. Er war ein Krüppel, arbeitsuntauglich, seinen Eltern auch mit zwanzig Jahren noch eine Last, ein Bettler, wenn sich die seltene Gelegenheit bot. Er rechnete nicht damit, dass es bei Jesus und seinen Jüngern Almosen zu holen gab. Und trotzdem lächelte er, als er die kleine Martha rennen sah.
Martha eilte an Timon vorbei, ein kindliches Strahlen in den Augen, und verschwand zwischen den Häusern.
Kurz darauf hörte er die Schritte nackter Füße, die im Staub knirschten, er hörte das Tuscheln vieler Stimmen. Und schon standen sie neben ihm, ohne ihn zu beachten, und sahen zu den Bäumen hinüber: Neugierige, Erwartungsvolle und einige mit gespieltem Desinteresse. Sie zögerten nur kurz und setzten ihren Weg dann fort. Männer, Frauen und Kinder verschwanden unter den Bäumen. Timon hörte Stimmen, konnte aber kein Wort verstehen. Und je länger sie dort blieben, desto nervöser wurde Timon. Er dachte, sie alle würden in einer aufgeregten Menschentraube zurück ins Dorf kehren, Jesus und die Jünger mitten unter ihnen, doch sie blieben dort.
»Mutter, ich will auch dorthin. Hilf mir auf!«
Seine Mutter trat aus der Tür, sie blickte ihn gütig an, doch ihre Augen waren freudlos. Sie bückte sich und half ihm auf das gesunde Bein. Timon nahm seine Krücke, Mutter schulterte den lahmen Arm, und dann schlurften beide hinüber zu den Bäumen. Mutter ächzte unter Timons Last, doch Vater hatte sich diese Woche als Tagelöhner verdingen können, und war noch nicht wieder zurück. Gleich am ersten Baum half Mutter ihm, sich mit dem Rücken an den Stamm zu lehnen. Dann machte sie kehrt.
Timon sah sich um. Niemand nahm Notiz von ihm. Aller Augen waren auf einen Mann gerichtet, den Timon leider nicht richtig sehen konnte, da die Köpfe seiner Nachbarn ihm die Sicht versperrten. Nur hier und da erhaschte er einen Blick auf das Gesicht eines nicht mehr ganz jungen Mannes. Und dann, ohne es zu merken, erlag Timon dem Bann der Worte, die der Mann sprach.
»Das Reich Gottes ist nahe herbei gekommen.«
Ja, es war die Botschaft, die Timon ins Herz traf. Doch das war es nicht allein. Denn das Reich Gottes konnte alles bedeuten für einen kranken Sünder wie ihn, Gutes und Schlechtes. Aber wenn diese Stimme vom Reich Gottes sprach, dann war das Reich Gottes eindeutig etwas Gutes. Timon spürte, dass er plötzlich zuhause war bei Gott. Die Welt um ihn herum wurde leichter. In ihm wurde es leichter. Er spürte Frieden in sich.
Es tat gut, bei diesem Mann zu sein, denn Gott war bei ihm. Und es war gut, dass Gott bei diesem Mann war, denn bei ihm war Gott gut.
Timon wusste nicht, wie lange er Jesus zugehört hatte, da wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Zwei der Dorfbewohner brachten Rufus herbei, der taubstumm war und zu den Außenseitern zählte wie Timon.
Es war offensichtlich, dass Rufus nicht wusste, was man mit ihm vorhatte, und Angst verzerrte sein Gesicht.
Jesus unterbrach seine Rede und sah den Kranken an, der jetzt neben Timon stand. Die Köpfe der Zuhörer folgten dem Blick, und mit einem Mal stand Rufus im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
»Meister«, sagte einer der Dorfbewohner, »dies ist mein Bruder. Er spricht nicht, er hört nicht. Man sagt, du könnest Kranke heilen. Wenn es dir möglich ist, so mache ihn gesund.«
Jesus betrachtete Rufus mit einem Blick, der der Seele gut tat.
Rufus schien das ebenso zu empfinden, denn sein Gesicht entspannte sich.
Dann stand Jesus auf, zwängte sich durch die sitzenden Menschen und berührte Rufus am Arm. »Komm«, sagte er, als ob Rufus es hören konnte.
Er ging mit dem Taubstummen ein Stück zur Seite und blieb in der gleißenden Sonne stehen. Timon sah, dass Jesus zum Himmel aufblickte und Rufus die Finger in die Ohren legte. Jesus benetzte seine Finger mit Speichel und führte sie zu Rufus‘ Lippen. Er sagte: »Tu dich auf!«
Rufus zuckte zusammen und ging beinahe in die Knie, sah sich mit großen Augen um. Und dann hörte Timon zum ersten Mal Rufus‘ Stimme, einen überraschten Laut, gefolgt von einem Lachen, einem freudigen, befreiten Lachen. Rufus riss die Arme hoch und brabbelte begeistert vor sich hin.
Timon bemerkte, dass die Dorfbewohner ebenso wie die Jünger aufgesprungen waren. Und als Rufus zu tanzen und zu springen begann, da verließen sie alle das Wäldchen, um das Wunder aus der Nähe zu betrachten. Nur wenige Augenblicke später brach vielstimmiger Jubel aus und es schien, als feiere das ganze Dorf ein spontanes Volksfest.
Im selben Augenblick war Timons Freude über Jesus dahin. Er blieb alleine unter den Bäumen sitzen, während alle anderen sich um Rufus und den Wunderheiler scharten und Gottes Gnade priesen.
Da raschelte es neben ihm, und ein unbekannter Mann setzte sich neben ihn. »Wie heißt du?«, fragte der Mann.
»Timon.«
»Mein Name ist Johannes. Ich bin einer der Jünger Jesu.«
Timon nickte.
»Du teilst nicht die Freude deines Dorfes?«, fragte Johannes. »Läufst nicht hinterher, um Gott zu loben?«
Timon war gekränkt. Johannes musste zweifellos die Krücke gesehen haben, die neben ihm lag. »Ich teile die Freude an Rufus‘ Heilung«, sagte Timon wenig überzeugend, »aber springen und tanzen bleiben mir verwehrt. Ich bin ein Krüppel.«
Johannes sah ihn an. »Was hast du gesehen?«, fragte er.
»Ich habe gesehen, dass Jesus Rufus geheilt hat.« Timon fand die Frage ebenso überflüssig wie seine Antwort.
»Was hast du nicht gesehen?«, fragte Johannes.
Timon sah ihn irritiert an. »Ich verstehe nicht …«
»Es ist mehr geschehen als das, was du gesehen hast«, meinte Johannes. »Es ist etwas geschehen, das man nicht sehen konnte.«
Jetzt glaubte Timon zu verstehen: »Ja, ich wüsste auch zu gerne, wie er das gemacht hat.«
Doch Johannes schüttelte den Kopf. »Warum möchtest du das wissen?«
»Nun ja, wie macht er das? Was ist das Geheimnis?«
»Warum willst du das wissen?«, wiederholte Johannes.
»Weil, weil …« Timon stockte.
»Kann es sein, dass du nicht so sehr wissen möchtest, wie Jesus es getan hat? Möchtest du nicht vielmehr wissen, was Rufus getan hat? Weil er geheilt wurde?«
Timon schluckte. Die Worte taten weh, aber sie waren wahr. Er nickte.
»Rufus hat nichts getan«, erklärte Johannes. »Es war allein Gottes Werk, das Jesus ausgeführt hat. Du kannst nichts tun.«
Timon fand diese Worte noch bedrückender. Er konnte nichts tun. Er war ausgeliefert, hilflos, konnte sein Schicksal nicht ändern.
Johannes ließ nicht locker. »Was ist geschehen, das du nicht gesehen hast?«
Timon sah die Bewohner seines Dorfes, die jubelten und beteten. Er sah Rufus mitten unter ihnen tanzen und singen. Und da wusste er, was Johannes meinte. »Jesus hat Rufus ins Leben geholt. Rufus war ein Außenseiter, sein Dasein hatte Grenzen, und Jesus hat die Schranken durchbrochen und ihm ein neues Leben ermöglicht.«
Diesmal nickte Johannes. »Und du?«, wollte er wissen. »Was würde deine Schranken durchbrechen und dir ein neues Leben ermöglichen?«
Timon musste nicht nachdenken. »Ein Sack voller Silber und Gold! Nur ein einziger Sack. Ich würde meinen Eltern nicht mehr zur Last fallen, ich könnte uns ernähren, und wir hätten keine Sorgen mehr. Meine Eltern werden alt, sie müssten nicht mehr arbeiten. Wir wären endlich Teil der Dorfgemeinschaft.«
»Ich verstehe.« Johannes war nachdenklich.
Timon wartete auf ein Wort der Zustimmung zu seinen Gedanken, bekam aber keines. Also fuhr er fort: »Du meinst doch nicht etwa, ich sollte um ein Wunder bitten wie das, das Rufus widerfahren ist?« Timon schüttelte über seine eigenen Worte den Kopf. »Nein, Johannes, das ist zu viel für mich. Für mich braucht es kein Wunder. Ich bin bescheiden. Mir reicht ein Auskommen für mich und meine Eltern.«
Diesmal antwortete Johannes. »Weißt du, was bei Gott zu viel ist oder zu wenig? Kannst du beurteilen, wo es ein Wunder braucht und wo nicht? Meinst du, dass es um Bescheidenheit geht, wenn ein Mensch endlich leben soll?« Er stand auf, reckte sich und ging zu den anderen.
Timon blieb allein zurück und fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen.
~
Am nächsten Tag zogen Jesus und die Jünger weiter. Timon hatte kein Wort mit dem Wunderheiler gesprochen und auch Johannes nicht mehr gesehen. Er war verärgert. Er hatte Johannes die Dinge anvertraut, von denen er insgeheim träumte, von denen er aber nie erzählte, um nicht ausgelacht zu werden. Und ausgerechnet von diesem wurde er abgespeist und sitzen gelassen.
Wochen vergingen, und immer wieder drangen Neuigkeiten über Jesus ins Dorf, immer wieder handelten sie von Heilungen, immer wieder wurden Worte weitergegeben, die er gesagt hatte.
Timon versuchte, nicht hinzuhören, doch er hörte genau hin. Und nach einiger Zeit verflog sein Groll, denn er erkannte, dass sich alle Geschichten in einem Punkt glichen: Gott meinte es gut mit den Menschen, und Gott war in Jesus, und Jesus brachte neues Leben. Sie nannten dieses Leben Heil oder Reich Gottes und es bedeutete immer dasselbe: Gott mischte sich ein und bog zurecht, was schief geraten war.
Irgendwann begann Timon darüber nachzudenken, was falsch gelaufen war, als er mit Johannes gesprochen hatte. Doch er kam nicht weiter. War es wirklich so, dass man nichts tun konnte, um von Jesus geheilt zu werden? Und war es am Ende so, dass sein Traum vom Sack mit Silber und Gold in die falsche Richtung führte?
Wer wusste, wovon Rufus geträumt hatte! Jesus hatte nicht danach gefragt, sondern das Übel an der Wurzel gepackt und herausgerissen. Es waren Taubheit und Stummheit gewesen, die Rufus behindert hatten. Und Jesus hatte ihm Ohren und Mund geschenkt.
Timon fragte sich, was ihn von einem ungehinderten Leben abhielt. Tagelang hielt er sich an dieser Frage auf und verzog das Gesicht, als er der Erkenntnis nicht länger ausweichen konnte, die eigentlich auf der Hand lag. Die Antwort war natürlich nicht ein Mangel an Silber und Gold. Es war vielmehr die Lähmung. Sie hinderte ihn daran zu leben. Und da hätte Jesus angesetzt. Gott schenkte nicht Silber und Gold, Gott schenkte Leben und räumte aus dem Weg, was daran hinderte.
Von diesem Tag an hörte Timon doppelt gut zu, wenn es neue Geschichten über Jesus gab. Er wollte ihn wiedersehen, seine Aufmerksamkeit auf sich lenken und um Heilung bitten. Doch Jesus kam nicht zurück.
Wochen später erzählte man sich, dass er auf dem Weg nach Jerusalem war, man befürchtete, dass es dort zum Konflikt mit den jüdischen Oberen und den römischen Behörden kommen würde.
Timon bekam es mit der Angst zu tun. Wenn es Jesus ans Leben ging, dann verlöre er die einzige Hoffnung auf ein eigenes neues Leben.
Als Pilger durch das Dorf kamen und erzählten, dass Jesus zum Passahfest in Jerusalem sein wollte, nahm Timon die wenigen Münzen, die er zurückgelegt hatte, und bat den Führer einer Karawane um die Barmherzigkeit, einem Krüppel den Weg nach Jerusalem zu ermöglichen. Der Karawanenführer nahm das Geld und wies Timon ein Lastkamel zu, auf dem er sich zwischen das Gepäck quetschte.
Die Reise erwies sich als schier unerträgliche Qual. Der Führer nahm keine Rücksicht auf Timons Gebrechen, legte tagsüber nur die notwendigsten Pausen ein, und selbst bei diesen half man ihm nicht vom Kamel herunter. Die Sonne brannte erbarmungslos auf Timon nieder, der fast bewegungsunfähig auf dem Lasttier hockte und Schmerzen am ganzen Leib litt.
Doch wenige Tage später überquerten sie die Kuppe einer Hügelkette und am Horizont tauchten prächtige Gebäude auf. Da wusste Timon, dass Jerusalem nahe war.
Die Karawane brachte ihn zum Tempelbezirk, wo man ihn vom Kamel zerrte und sich selbst überließ. Er mischte sich unter zahllose andere Krüppel und Kranke und wartete einfach ab, was diese taten, um es ebenso zu tun. Von Stund an erlebte er einen ekelerregenden Schmutz und Gestank, der ihm die Sinne raubte. Das Leid dieser Menschen übertraf sein eigenes und war in dieser Häufung unerträglich. Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass manch einer eine Heilung viel nötiger hätte als er.
Die Tage gingen dahin, und nichts geschah, das seinem Leben eine Wendung zum Besseren bescherte. Die Menschen, unter denen er leben musste, waren ihm zuwider, und bald begann er, sich selbst zu verabscheuen. Mehr und mehr nagte der Zweifel an ihm, ob diese Reise eine weise Entscheidung gewesen war. Doch als er hörte, dass Jesus schon mehrere Male im Tempel gewesen war, stieg seine Zuversicht wieder.
Dann brach der Sabbat an, und Timon erfuhr, dass man Jesus gekreuzigt hatte. Er war der Gotteslästerung und des Aufruhrs gegen den Kaiser beschuldigt worden, man hatte ihm kurzen Prozess gemacht und hingerichtet, damit der Leichnam noch vor Beginn des Feiertages bestattet werden konnte.
Timon sank in sich zusammen und weinte. Jesus von Nazareth war seine Hoffnung gewesen, ein Funken Hoffnung auf ein neues Leben. Doch nun kehrte er in die Sackgasse zurück, die schon immer sein Leben gewesen war.
Er blieb in der Nähe des Tempels und bettelte tagein, tagaus. Er brauchte Geld, um irgendwann mit einer Karawane heimkehren zu können. Tage und Wochen vergingen, und die Almosen, die er einstrich, reichten kaum, um seinen Hunger zu stillen. Er machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass er sein Leben hier lassen und man ihn irgendwo verscharren würde.
~
Und dann kam der Morgen, an dem er in seinem verschlissenen und dreckigen Gewand an einer Mauer lehnte und sich kaum der Schmeißfliegen erwehren konnte, der Morgen, an dem er vor Hitze fast umkam und sich nach dem frischen Wasser aus dem Brunnen seines Heimatdorfes sehnte, der Tag, an dem zwei Männer in den Tempel kamen und Timon die Augen übergingen.
Der eine der beiden Männer hatte zu Jesu Jüngern gehört, doch sicher war sich Timon nicht mehr. Der andere aber war Johannes. Timon reckte seinen gesunden Arm und rief nach ihm, doch seine Worte gingen im Stimmengewirr des Tempels unter.
Kurzerhand nahm Timon die wenigen Münzen, die er heute eingenommen hatte und versprach sie dem erstbesten Mann, der zufällig vorbeikam: »Bring mich zu diesem Mann dort, ich flehe dich an!«
Der Mann sah ihn abfällig an, schätzte den Wert der Münzen und rümpfte die Nase.
»Ich bin nicht aussätzig«, beteuerte Timon. »Ich bin gelähmt. Hilf mir nur auf und stütze mich ein wenig, damit ich dorthin komme.«
Der Mann hielt die Hand auf, und Timon gab ihm alles, was er hatte. Die Münzen verschwanden im Gewand des Fremden, der ihm danach erneut die Hand hinhielt. Timon packte zu und ließ sich hochziehen. Er nahm seine Krücke und humpelte so schnell es ging den Jüngern hinterher, während der Fremde ihm half.
Kurz darauf erreichten sie eine Ansammlung von Menschen, die sich um Johannes und den anderen scharten. Alle plapperten aufgeregt durcheinander und nahmen den Krüppel nicht wahr.
»Lasst uns durch!«, bat Timon freundlich, aber mit Nachdruck.
Die Menschen machten ihm Platz, vielleicht wichen sie auch nur seinem Gestank aus. Der Fremde ließ Timon zu Boden gleiten und verschwand ohne ein einziges Wort in der Menge.
Dann endlich sah Timon Johannes ins Angesicht, und in den Augen des Jüngers blitzte Erinnerung auf. Die erregten Gespräche der Umstehenden verstummten, als Johannes auf Timon zeigte. Dieser rechnete damit, dass Johannes ihn ansprechen würde, doch stattdessen kam der andere Jünger auf ihn zu. Irgendwer tuschelte, sein Name sei Petrus, doch das sagte Timon nichts.
Petrus blickte auf Timon hinab. »Was willst du?«
Und Timon verzweifelte. Es war sein Ende. Dieser war nicht Jesus, er war noch nicht einmal Johannes und schon gar nicht Gott. Was hatte er sich nur davon versprochen, in die Nähe dieser Männer zu gelangen. Timon senkte den Kopf, hob die Hand und bat: »Ein Almosen, Herr.«
»Sieh uns an«, sagte Petrus.
Timon hob die Augen und sah, dass Johannes neben Petrus stand. Petrus sagte: »Silber und Gold habe ich nicht.«
Er machte eine bedeutungsvolle Pause, und Timon fühlte sich durchschaut.
»Was ich aber habe«, sagte Petrus, »das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi steh auf und geh umher!« Und er ergriff Timon bei der rechten Hand und richtete ihn auf.
Sogleich spürte Timon, dass etwas mit ihm geschah. Seine Füße und Knöchel wurden fest. Wo er schwach gewesen war, wurde er stark. Wo sein Dasein ihn gehindert hatte, wurde er frei.
Timon stand auf eigenen Beinen, er konnte gehen und stehen, und er fühlte eine unbändige Freude in sich. Dann lief er los, sprang umher und begann Gott zu preisen für das Wunder, das er an ihm getan hatte.
~
Als Timon sich zwei Wochen später seinem Heimatdorf näherte, suchte sein Blick vergeblich nach jemandem, der ihn kommen sah. Die Sonne stand hoch am Himmel, und wer konnte, hatte längst an schattigen Plätzen Schutz vor der Hitze gesucht. Ihm selbst lief der Schweiß Gesicht und Rücken hinunter. Es war nicht gut, zu solchen Stunden unterwegs zu sein. Aber seit er sich am Vormittag von der Karawane gelöst hatte, drängte es ihn nach Hause zu kommen und sich den prüfenden Blicken der Ältesten und Pharisäer zu stellen. Vor allem aber wollte er seine Eltern wiedersehen und sie glücklich machen.
Als er das kleine Wäldchen am Brunnen entdeckte, beschloss er doch noch einen kleinen Umweg einzuschlagen, etwas zu trinken, den Staub aus der Kleidung zu klopfen und das Gesicht zu waschen. Er wollte nicht müde und schmutzig von der Reise bei seinen Eltern erscheinen, sondern in jeder Hinsicht wie ein neuer Mensch aussehen.
Als er unter die Bäume trat, traf er die kleine Martha, die dort offensichtlich spielte. Sie sah auf und hielt inne.
»Timon?«, fragte sie mit großen Augen.
»Ich grüße dich, Martha.«
»Du kannst ja gehen!«
Timon zuckte die Schultern und lächelte.
»Bist du gesund?«
»Ja, Martha, ich bin gesund!« Timons Stimme war die Freude anzuhören.
»Wer hat das getan?«
Timon kratzte sich am Kopf. Was sollte er antworten? Er dachte an Petrus und Johannes, er dachte an Jesus, er dachte, dass das alles viel zu kompliziert wäre für ein Kind. Also gab er die Antwort, die auf jeden Fall richtig war und die Martha verstehen würde: »Gott hat mich geheilt.«
Martha strahlte über das ganze Gesicht. Sie rief: »Warte hier«, und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Timon sah ihr nach, lachte über die Staubwolken, die ihre kleinen Füße auf dem Boden aufwirbelten, und wusste, was nun kam. In Kürze würde er die Schritte nackter Füße im Staub knirschen hören und das Tuscheln vieler Stimmen. Dann würden sie vor ihm stehen und ihm volle Aufmerksamkeit schenken: Neugierige, Erwartungsvolle und einige mit gespieltem Desinteresse.
Z.Z. Voss
Die Urteilsverkündung war keine große Sache. »Schuldig«, wie erwartet. Dass sich das Gericht dabei auf »Abweichungen vom Idealbild des Menschseins« berief, reizte die Lachmuskeln auf eine der Situation nicht angemessene Weise. Z.Z. Voss senkte den Kopf, um ein unvermeidbares Grinsen zu verbergen.
Unmittelbar auf das standrechtliche Verfahren folgte die Bekanntgabe des Strafmaßes. Z.Z. Voss horchte auf. Anders als der kleinliche Grund für den Prozess war dieses Detail durchaus von Belang für ihn und seine weitere Zukunft.
»Ein Stein, in Umfang und Gewicht der Schwere der Schuld entsprechend«, verkündete der Richter, »soll durch den Verurteilten den Heiligen Berg hinauf bis zu den Göttern gerollt werden. Der Vollzug der Strafe ist ohne Verzug unter den in vergleichbaren Fällen bewährten Begleitumständen anzutreten.«
Z.Z. Voss nahm den Schuldspruch verständnislos, aber gelassen entgegen und kratzte sich das stoppelige Kinn. Nach zwei Nächten in einer erbärmlichen Zelle war es an der Zeit für eine heiße Dusche und eine akribische Rasur. Doch da er die Strafe sofort antreten sollte, musste beides wohl bis zum Abend warten.
Zwei Beamte, deren Uniformen sie namentlich als »Meier« und »Maier« auswiesen, nahmen Z.Z. Voss pflichtbewusst in die Mitte und führten ihn durch einen Hinterausgang aus dem prächtigen Gerichtsgebäude. Sie setzten ihn in einen Streifenwagen und fuhren zum Heiligen Berg.
Viele hundert Meter erhob sich das Massiv am Rande der Stadt. Die höchsten Spitzen waren nur äußerst selten zu sehen, verbargen sich zumeist in den Wolken. Wanderer berichteten immer wieder dasselbe: Der Aufstieg an sich war keine echte Herausforderung, jedoch wirkte der dichte Nebel in den oberen Lagen so erdrückend, dass an ein Weiterkommen nicht zu denken war und man sich beinahe fluchtartig an den Abstieg machte.
Z.Z. Voss blickte hinauf und fragte sich, ob die vergleichsweise harmlos anmutende Strafe nicht doch hinterhältiger war, als er zu diesem Zeitpunkt erahnte. Aber immerhin war er durchtrainiert und kräftig, seine eigenen Voraussetzungen sprachen also eher für einen zügigen Vollzug des Strafmaßes. Wahrscheinlich war alles nur eine Frage der klugen Einteilung seiner Kräfte.
Die Beamten gewährten ihm diesen Augenblick der Besinnung, beäugten ihn aber mit hämischen Blicken. Dann zerrten sie ihn ein Stück weiter zu einem Gebäude, in dem sich die Steine befanden.
»Sträfling Zacharias-Zodiac«, meldete Maier dem Bürokraten am Eingang und kicherte verhalten. »Zacharias-Zodiac Voss. Liegt sein Stein bereit?«
Der Buchhalter wies mit der Hand über die Schulter. »Zweiter Gang links, gleich das erste Fach unten rechts.«
Mit zunehmender Anspannung folgte Z.Z. Voss den Beamten ins Gebäude und bog mit ihnen um besagte Ecke. Da lag er, sein Stein, der Schwere seiner Schuld entsprechend, etwa einen Meter im Durchmesser und ziemlich rund. Plötzlich verspürte er Hochachtung, denn der Stein sah schwer aus.
»Auf geht‘s«, sagte Meier und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Z.Z. Voss bückte sich und rollte den Stein aus dem Fach. »Gut«, dachte er, »das Ding ist leichter als erwartet. Also wiegt auch meine Schuld nicht übermäßig schwer.«
Er kullerte den Stein vor sich her aus dem Gebäude und bis zum Heiligen Berg. Die kurze Strecke aber offenbarte das Heimtückische des Brockens. Sein Gewicht war zwar akzeptabel, würde bei einem Aufstieg über Hunderte von Metern dennoch unweigerlich zum Problem werden. Überdies war seine Größe unvorteilhaft. Z.Z. Voss musste entweder gebückt laufen und den Stein vor sich her stoßen oder aber auf den Knien rutschen. Zugegeben, diese Begleiterscheinung seiner Strafe war fies.
Am Fuß des Berges blieb er stehen.
»Worauf wartest du?«, fragte Maier. »Du hast es doch gehört: Antritt der Strafe ohne Verzug.«
Z.Z. Voss machte eine unwillige Geste mit der Hand. »Lass mich sehen, an welcher Stelle der Aufstieg günstig ist.«
Die beiden Beamten sahen ihn amüsiert an. »Kleiner Tipp«, sagte Maier, »vergiss es. Geh einfach.«
Z.Z. Voss hörte nicht auf sie, sondern rollte den Stein ein ganzes Stück weiter nach Norden, bis ein baumloser und relativ gleichmäßiger Anstieg vor ihm lag. »Hier«, beschloss er.
»Ist uns recht«, sagte Meier, und sein Kollege nickte.
Z.Z. Voss reckte noch einmal den Rücken, lockerte Arme und Beine, atmete tief durch und machte sich auf den Weg.
In leicht gekrümmter Haltung gab er dem Stein den ersten Schwung und sein Strafmaß rollte locker die ersten Meter den Berg hinauf. Er trollte sich hinterher und gab dem Fels immer dann den nächsten Stoß, wenn dieser sich verlangsamte. Die Technik schien ihm nicht optimal, aber ein angemessenes und kraftschonendes Vorgehen würde sich im Laufe des Aufstiegs schon noch finden. Meter um Meter schob er den Brocken höher den Berg hinauf. Seine Kräfte hielten mit, er hatte sich das Ganze schlimmer vorgestellt.
Nun gut, er war ja auch kein Schwerverbrecher. Ein Gauner vielleicht, aber kein übler, eher ein charmanter. Er kam bei den Frauen gut an, hatte einen beachtlichen Verschleiß, was leider nicht immer ohne Tränen abging. Mit Steuern und Versicherungen nahm er es nicht ganz so genau, ebenso wenig mit Tempolimits. Als Vorarbeiter auf der Baustelle gönnte er sich durchaus ausgiebigere Pausen, als ihm zustanden, aber er musste seine Kräfte schließlich auf ein langes Arbeitsleben verteilen. Er log, wenn es ihm passte, er warf seine Zigarettenkippen hin und wieder in den Wald oder den Biomüll, er fluchte und lästerte und machte seine Exfrau am Telefon nieder, die ihm einst wie die Verheißung des Himmels erschienen war, aber faktisch nur die Hölle auf Erden gebracht hatte. Außerdem hielt er nicht viel von den Göttern, die ihm bislang nicht spürbar gedient hatten. Dankbar genoss er ihre Feiertage, hielt sich aber von den archaischen Ritualen fern.
Frohen Mutes gab Z.Z. Voss dem Stein richtig Schwung und erfreute sich an dem Anblick, wie sein persönlicher Fels den Berg hinan schnellte. Nein, er war kein schlechter Kerl, er war ein Durchschnittstyp wie tausend andere, die einfach nur ihr Leben lebten. Sicher, er war alles andere als perfekt, aber genau das besagte ja auch das Strafmaß: »Abweichungen vom Idealbild«, nicht mehr und nicht weniger. Dass sein Stein nun flott den Heiligen Berg hinauf rollte, war also alles in allem angemessen. Er würde sein Strafmaß mit Würde erfüllen und dann zur Tagesordnung zurückkehren.
Die Minuten wurden zu Stunden und der Tag zog sich hin. Weiter und weiter rollte Z.Z. Voss den Stein hinauf und spürte zum frühen Abend, dass er ermüdete. Es war an der Zeit für eine Pause, um einmal kurz zur Ruhe zu kommen und eine Kleinigkeit zu essen. Außerdem wollte er zu gerne sehen, wie weit er gekommen war. Er suchte sich eine Stelle, an der sein Stein am Boden etwas Halt fand, und drehte sich um.
Weit unter ihm erstreckte sich seine Heimat. Er sah das Land, die Stadt, den Fluss, ein erhabener Anblick. Zufrieden stellte er fest, dass er es bereits einige hundert Meter aufwärts geschafft hatte. Er wandte sich wieder nach vorn, schaute aufwärts und seine Gesichtszüge fielen in sich zusammen. Über ihm türmte sich der Heilige Berg und ließ in keiner Weise erkennen, dass er schon seit Stunden bergauf gegangen war. Ihm dämmerte, dass er für die Nacht eine Stelle suchen musste, um den Stein zu fixieren, damit er ein paar Stunden schlafen konnte.
In diesem Augenblick knirschte der Boden, einige winzige Gesteinssplitter zerfielen und der Stein setzte sich in Bewegung. Fasziniert sah Z.Z. Voss, wie der Brocken in Sekundenschnelle Fahrt aufnahm und den Berg hinunter kullerte.
»Verdammt!«, er hatte nicht aufgepasst.
Mit einem riesigen Satz sprang er hinterher. Doch es war schon zu spät. Der Stein hatte bereits ein irres Tempo erreicht und hüpfte und rollte und raste den Hang hinab. Z.Z. Voss hastete ihm nach, schneller als er jemals in seinem Leben gerannt war, seine Füße jagten den Berg hinunter. Mehr fliegend als laufend kam er dem Stein immer näher, reichte jedoch nicht an ihn heran. Als er spürte, dass er jede Sekunde furchtbar stolpern würde, setzte er zu einem waghalsigen Sprung an, hechtete nach vorne und warf sich auf das fliehende Objekt. Im nächsten Augenblick spürte Z.Z. Voss, wie er unter den Brocken geriet, wie seine Rippen knackten, wie der Fels ohne ihn weiterrollte und er selbst über den steinigen Grund schlitterte und nur allmählich zum Erliegen kam. Stöhnend rappelte er sich auf, spürte, dass er sich nichts gebrochen hatte, atmete den Schmerz weg und trottete völlig perplex bergab.
Aus einiger Entfernung beobachtete er, wie der Stein die letzten Meter hinab fegte und in der Ebene liegen blieb. Maier steckte eine Stoppuhr weg und Meier drückte ihm einige Geldscheine in die Hand.
Kurz darauf erreichte auch Z.Z. Voss den Grund, zerschunden, atemlos, dehydriert und ausgesprochen hungrig.
»Feierabend für heute«, sagte Meier. »Morgen um acht Uhr geht’s weiter. Ruh dich aus. Du hast noch ein langes Leben vor dir.«
Die Nacht über tat Z.Z. Voss kaum ein Auge zu. Widersprüchliche, Schlaf raubende Fantasien plagten ihn, von Boykott über Flucht bis hin zum Ehrgeiz. Am Ende siegte der Ehrgeiz, und pünktlich um acht Uhr stand er bei seinem Stein und rollte ihn zum Abhang.
Maier setzte einen Haken in ein Formular, das auf einem Klemmbrett lag. »Viel Erfolg«, wünschte er ihm, doch es klang wie: »Bis heute Abend«.
Erneut machte sich Z.Z. Voss an den Aufstieg. Seine Methode, den Stein vor sich her zu rollen, hatte er am Vortag perfektioniert, doch heute machten ihm Muskelkater und die sengende Sonne zu schaffen. Sein Mittagessen nahm er ein, indem er das Wegrollen des Steins mit dem Rücken verhinderte. Er stapfte bergan, bis es dämmerte und sich die Sicht verschlechterte. Ihm wurde bewusst, dass der Aufstieg niemals an einem Tag zu schaffen war und er mindestens einmal irgendwo nächtigen musste. Und dafür brauchte der Fels einen sicheren Ablageplatz.
Doch so lange er auch Ausschau hielt und dabei weiter hinan stieg, nirgends fand sich eine flache Stelle. Schließlich legte sich die Nacht über den Heiligen Berg und Z.Z. Voss setzte seinen Aufstieg bei Sternenlicht vorsichtig fort. Er war so müde, dass ihm die Augen schwerer wurden als der Stein. Seine Arme und Hände spürte er längst nicht mehr, seine Beine und Füße waren steif – und in diesem Augenblick bekam er einen Wadenkrampf, schrie auf, rutschte aus und fühlte diesen seichten Hauch, als der Stein an ihm vorüber rauschte und bergab trudelte. Nur Sekunden später war der Fels in der Dunkelheit verschwunden, bald darauf war auch sein Rollen nicht mehr zu hören.
Wut überkam Z.Z. Voss. Auf diese Weise würde er es niemals schaffen, erst recht nicht, wenn man ihm nicht zwischendurch einen Tag zur Erholung des abgearbeiteten Körpers gönnte. War dieses verflixte Auf und Ab der Schwere seiner Schuld angemessen? Nein, keineswegs, eine solche Schinderei hatte er wirklich nicht verdient.
Erbost verbrachte er die Nacht weit oben auf dem Berg und schleppte sich am nächsten Morgen desillusioniert wieder herab.
Im Tal wartete Meier. »Sie sind zu spät zum Strafdienst erschienen, Herr Voss, ich muss das protokollieren. Konsequenzen müssen Sie allerdings nicht befürchten, da Sie vergangene Nacht besonders lange gearbeitet haben. Meinen Respekt, die Götter wissen Ihren Einsatz sicher zu schätzen.«
»Wollt Ihr mich verarschen?«, keifte Z.Z. Voss. »Kein Mensch wird es jemals schaffen, an nur einem Tag da hoch zu kommen! Früher oder später wird dieser verfluchte Klotz wieder in dieses beschissene Kaff zurückrollen.«
Meier nickte. »Exakt.«
»Und was sollt der ganze Mist?«, schrie Z.Z. Voss, mittlerweile außer sich vor Zorn. »Wollt Ihr zusehen, wie ich zum Rolltrottel mutiere?«
»Ganz unter uns«, raunte ihm der Beamte zu, »Ihre Strategie ist die falsche. Probieren Sie doch mal was anderes.«
»Was anderes?« Z.Z. Voss verschlug es den Atem und er glotzte den Beamten verständnislos an. »Ich dachte, der Stein muss da rauf?«
»Klar, aber gehen Sie doch mal einen anderen Weg.«
»Und welcher sollte das sein?«
»Den Weg des Gesetzes, des Gesetzes der Götter.«
»Sagt mir nichts. Wo geht der lang?«
»Dort hinten durch den Wald.«
Z.Z. Voss‘ Blick folgte dem Fingerzeig des Beamten. Ein ganzes Stück weiter südlich erstreckte sich ein dichter Wald den Hang hoch.
»Das‘n schlechter Witz, oder? Mann, das ist ja ein Dschungel. Ich wollte mir den Weg nicht zusätzlich erschweren, sondern erleichtern.«
»Gemach, gemach«, riet Meier. »Der Anstieg dort ist echt bequemer und Sie finden immer eine Stelle, um den Stein für die Nacht abzulegen.«
»Aber die Bäume?«
»Die Bäume sind zwar unliebsame Hindernisse auf dem Weg der Heiligung. Doch das Gesetz der Götter wird Ihnen den bestmöglichen Weg hindurch weisen. Stück für Stück.« Der Beamte zwinkerte ihm wohlwollend zu.
Z.Z. Voss wog Chancen und Risiken ab und folgte dann dem Rat des Beamten. Er ließ sich von ihm das Gesetz der Götter erklären und merkte sich das Wichtigste: Nicht anderen was wegnehmen, die Finger von verheirateten Frauen lassen, keinen umbringen und auch nicht hauen, gut für Mama und Papa sorgen und vor allem anderen an die Götter glauben und ihnen den Ehrenplatz im eigenen Herzen einräumen. Das meiste davon war zumindest irgendwie nachvollziehbar, fand Z.Z. Voss, und sollte insofern kein Problem für ihn sein.
Also rollte er den Stein in den Dschungel. Und tatsächlich, das Gesetz der Götter wies ihm den Weg durch das Dickicht. Für die Nacht fand er einen geeigneten Schlafplatz, bei dem er auch den Stein sicher abstellen konnte. Und als die Sonne wiederum aufging, machte er sich ermutigt an den weiteren Aufstieg. Es wurde ihm leicht ums Herz, wie er den Stein da vor sich her rollte und immer weiter aufwärts kam, so dass er ins Träumen geriet, was er wohl als erstes tun würde, wenn das alles hinter ihm lag. Sogleich stand ihm die süße Eva vor Augen, die zwar vergeben, aber biegsam und schmiegsam war. Nur am Rande nahm er wahr, dass sich eine Schlingpflanze um seine Fessel legte. Wenige Schritte weiter stockte der verstrickte Fuß und Z.Z. Voss landete auf der Nase. Blätter wirbelten auf, als der Fels abwärts rollte.
Auch in dieser Nacht blieb er auf dem Berg, schlief wie ein Stein, tief und fest, die völlige Leere in seiner Seele sog ihn in traumlose Dunkelheit.
Verwirrt und mit strubbeligen Haaren erschien er am kommenden Morgen am Fuße des Bergs, wo Maier auf ihn wartete. Dieser schätzte seine Verfassung richtig ein und riet ihm mit einer väterlichen Geste: »Glaube an dich selbst, Z.Z., nur dann schaffst du es.« Maier setzte einen Haken in sein Formular, zwinkerte ihm zu und schickte ihn nach Hause.
Dort absolvierte Z.Z. Voss mehrere Tage lang ein verschärftes mentales Training und glaubte schließlich so sehr an sich, dass er zum Berg eilte, den Brocken mit einem gewaltigen Urschrei hochhob, ihn sich auf die Schultern legte und brachialen Fußes den Berg erklomm. Nach zwölf Schritten gelangte er an eine besonders heikle Stelle und kippte hinten rüber.
Der Stein plumpste Maier vor die Füße, der einen Haken in das Formular auf seinem Klemmbrett setzte. »Mensch Z.Z., du musst es wirklich wollen!«, sagte er und verdrehte die Augen.
Z.Z. Voss vergrub seine Faust in Maiers Gebiss.
Am nächsten Tag fühlte sich der Stein noch schwerer an.
Der Beamte, der ihn diesmal empfing, um einen Haken zu setzen, hieß Meyer und war lässig drauf. Das Haar wehte in langen Wellen von seinem jointvernebelten Haupt und er zwinkerte ihm verschwörerisch zu: »Hey Mann, nimm‘s locker. Du hast das Spiel noch nicht durchschaut. Der Stein ist in dir. Er ist nichts als eine Projektion deiner inneren Unvollkommenheit. Ganz ehrlich, Mann? Du wirst niemals oben ankommen. Das hier ist Endstation. Aber kein Grund zur Sorge, echt! Mach das Beste daraus, versteh‘ die Krise als Chance. Mein Tipp für dich? Meditiere, Mann! Setz dich auf den Stein und befreie dich von deinen inneren Lasten. Und dann mach dich auf den Weg. Je höher du mit dem Stein gelangst, desto leichter wird er im kommenden Leben. Es geht nicht um den Gipfel. Es geht um den Weg. Der Weg ist das Ziel, Mann. Verbessere dein Karma.«
Und so begann Z.Z. Voss auf dem Stein sitzend zu meditieren, sich in ihn zu versenken, mit ihm zu verschmelzen, und der Beamte kritzelte einen Haken. Als Z.Z. Voss dann spürte, dass er innerlich befreit war, machte er sich erneut an den Aufstieg. Nicht länger oben ankommen, sondern möglichst weit kommen, damit es ihm im nächsten Leben besser erging, das war das Ziel.
An jenem Abend saß er in der Dämmerung am Hang und sah seinem Stein dabei zu, wie er bergab tollte. Doch diesmal blieb er flauschig, ereiferte sich nicht und ließ auch keine Verzweiflung aufkommen. Stattdessen markierte er die Stelle, bis zu der er heute gelangt war. »Morgen schaffe ich es noch weiter«, sagte er sich. »Und eines schönen Tages, nach einer unbestimmten Anzahl von Wiedergeburten, werde ich ohne Stein den Gipfel erklimmen und Teil der Götterschaft werden.«
Als er tags darauf die gestrige Markierung passierte, wucherte in ihm der verwerfliche Gedanke, dass die zurückgelegte Strecke aber eigentlich schon dicke für eine steinfreie Wiedergeburt reichen müsste. Erst recht, wenn man alle bisherigen Anläufe addierte. Er legte den Stein behutsam zur Seite, ließ sich nieder und begann sein Karma zu berechnen.
Da sprach ihn jemand von der Seite an. »Was machst du da eigentlich?«, fragte ihn ein Mayer, der irgendwie schlau aussah. »Ackerst Tag für Tag mit diesem Felsen den Berg hinauf. Warum?«
»Weil …« Z.Z. Voss kam ins Stocken. Die Frage traf ihn unvorbereitet, war jedoch begründet, wie ihm schien. »Man, äh, hat mich dazu verdonnert.«
»Weißt du, wie man das nennt, was du hier machst?«
Z.Z. Voss schüttelte den Kopf. »Dummheit?«, fragte er zaghaft.
»Fast. Es ist Religion. Der Mensch versucht, sich dem Heiligen zu nähern.«
»Aha?«
»Es ist immer dieselbe Bewegung. Von unten nach oben, von unten nach oben. Ohne durchschlagenden Erfolg. Nicht nur bei dir, sondern bei allen, die es versuchen. Sinnloses Verplempern der Zeit.«
Z.Z. Voss verzog das Gesicht. War das etwa die schreckliche Wahrheit?
Der Mayer fuhr fort: »Wem willst du was beweisen? Dir selbst? Das hast du nicht nötig. Den Göttern? Bei aller Liebe, aber da oben ist niemand mehr. Unbekannt verzogen. Olymp und Sinai sind verwaist, ebenso Helgafell, Göbekli Tepe, Wutai, Meru, Ampato und Kailash. Oder hast du Schiss vor den Beamten? Nein? Dann geh runter und sag ihnen, dass es keinen einzigen verdammten Stein gibt, der irgendetwas mit dir zu hat. Sag ihnen, du streikst.«
Unschlüssig sah Z.Z. Voss ihn an. Gewiss, der Stein war nicht mehr als ein totes Stück Materie. Soweit hatte der Mayer jedenfalls Recht. Unruhe erfasste ihn, denn wahrlich, er hatte lange genug bei diesem Theater mitgespielt. Im nächsten Augenblick ballte er die Fäuste und stand auf. Er war immer noch ein ganzer Kerl und nun war Schluss mit dem Unfug.
Z.Z. Voss klopfte dem Mayer dankbar auf die Schulter und machte sich in kernigen Schritten an den Abstieg, bereit den Beamten da unten so richtig den Marsch zu blasen, Maier und Meier zuallererst.
Als er das Grollen hinter sich vernahm, war es auch schon zu spät. Der Stein begrub Z.Z. Voss unter sich, wickelte dessen Körper um seine Rundung und polterte mit ihm ins Tal.
Völlig geplättet kam er unten an und Maier gab ihm einen Tag frei.
Morgens erschien Z.Z. Voss wieder am Fuß des Berges, um sein Strafmaß zu erfüllen, und ihn überkam schiere Verzweiflung. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich lebensmüde und verfluchte den Stein. Er wünschte sich ein anderer zu sein und schüttelte über sich den Kopf.
Mit einem tiefen Seufzer stemmte er sich gegen den Fels und begann ihn dort hinauf zu rollen, wo er es am ersten Tag versucht hatte. Er kam nicht gut voran, denn seine Kräfte waren geschwunden und sein Ehrgeiz tendierte gegen Null. Gegen Mittag gab er auf, fixierte den Fels mit einem Oberschenkel, rammte das andere Bein fest in den Boden und legte seinen Oberkörper resigniert auf die raue Oberfläche. Schwer atmend glitt sein Blick zur dunstigen Spitze des Berges, über der das Sonnenlicht waberte.
Plötzlich meinte er von dort eine Bewegung wahrzunehmen. Er blinzelte und sah genauer hin. Tatsächlich löste sich ein Schatten aus dem Licht und alsbald konnte er eine Gestalt ausmachen, die den Berg herab kam.
Es war ein Mann. Z.Z. Voss traute seinen Augen nicht. Jemand stieg vom Gipfel hinab, gelassen, festen Schrittes, aufrecht, und er sah nicht danach aus, als jage er einem verlorenen Stein nach. Der Kerl trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: »Jesus hängt seinen Job an den Nagel.«
»Die Götter sind mit dir«, grüßte der Unbekannte.
»Das wüsste ich aber«, grüßte Z.Z. Voss.
»Gibt’s ein Problem?«, fragte der Mann, kniff die Augen zusammen und fixierte sein Gegenüber mit einem freundlichen Blick.
»Ein Problem?«, wiederholte Z.Z. Voss und machte eine hilflose Bewegung mit den Armen. Er wusste ja gar nicht, wo er da anfangen sollte, aber dann bezog er sich auf das Dringendste. »Der Stein hier.«
Der Mann nickte. »Reich mal rüber.«
Z.Z. Voss schob dem Unbekannten den Stein zu. Der nahm ihn, zog ihn an sich, und im nächsten Augenblick zerstob der Fels in einer Wolke aus Staub, die sich alsbald rückstandslos verzog.
Z.Z. Voss hustete und riss gleichzeitig die Augen auf. »Das gibt’s ja nicht.« Plumps saß er auf dem Hosenboden und zog ein dämliches Gesicht. Völlig entgeistert starrte er den Unbekannten an. Was war das?
Doch bevor der Fremde auch nur zur Antwort ansetzen konnte, raschelte es im Gebüsch. Z.Z. Voss nahm es nur am Rande wahr und starrte den Mann fasziniert an. War das wirklich passiert?
Dann knirschte es hinter den Felsen. Z.Z. Voss‘ Augen zuckten und er warf einen ungehaltenen Blick zur Seite, sah eine Bewegung zwischen den Steinen. Aber noch war der Drang stärker, den Zerstäuber vom Berg ungläubig zu begaffen, und er wandte sich ihm wieder zu.
Der Unbekannte stand lächelnd vor ihm und machte einladende Gesten nach allen Seiten.
Erst als es in den Höhlen zischelte, siegte Z.Z. Voss‘ schwacher Geist und er gab seiner Neugier nach. Sein Blick riss sich von dem Fremden los und er sah sich um. Mit Unbehagen stellte er fest, dass sie nicht länger alleine waren. Andere Verurteilte krochen aus allen Ecken und näherten sich zaghaft mit ihren Brocken.
Dass sie Gesellschaft bekamen, behagte Z.Z. Voss überhaupt nicht. »Wer bist du?«, fragte er und versuchte, die anderen zu ignorieren, versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Rate«, sagte der Unbekannte und winkte die anderen zu sich.
Diese kamen näher, zögerlich und unsicher, doch unaufhaltsam. Männer und Frauen, jung und alt, arm und reich, mit ihren Steinen, klein und groß, drängten sich rund um den Unbekannten, nahmen direkt neben, vor und hinter Z.Z. Voss Platz, sahen den Fremden neugierig und erwartungsvoll an.
Z.Z. Voss war plötzlich genervt und irritiert. Wieso hatte er all die anderen Verurteilten zuvor nicht wahrgenommen? Na klar, er war die ganze Zeit über einzig mit sich selbst befasst gewesen. Wie dumm von ihm, denn er hätte sich ja denken können, dass er nicht der einzige Abweichler vom menschlichen Idealbild war und nicht allein auf steinigen Pfaden pilgerte.
Irgendeine Frau fasste sich ein Herz und schob ihren Stein dem Fremden zu. Ein Raunen ging durch die Menge, als ihn der Mann an sich nahm und mit einer staubigen Wolke verschwinden ließ.
»Die Götter sind nah bei Euch«, sagte er. »Ich nehme die Last, die Euch von ihnen trennt.«
Da setzte ein fieberhaftes Gewusel ein und alle hatten es auf einmal eilig, dem Fremden ihre Steine zu geben. Und der Mann nahm sie, nahm sie alle, und er nahm sie alle hinweg.
Eine ungeahnte Euphorie erfasste Z.Z. Voss. Was der Kerl da abzog, war unglaublich, und es beseelte ihn mehr, als mit Eva zu schlafen, es fühlte sich besser an als Maier und Meier die Fresse zu polieren, es erleichterte mehr als der nachlassende Schmerz nach einer Rutschpartie unter dem Stein. Z.Z. Voss ertappte sich dabei, wie er kindisch tänzelte und in die Hände klatschte. Etwas Vergleichbares hatte er noch nicht erlebt. Tatsächlich, die Befreiung war nahe und dieser Mann war die Befreiung.
»Da Ihr‘s nicht zu den Göttern schafft, komme ich halt zu Euch«, sagte der Unbekannte.
»Wer bist du?«, fragte Z.Z. Voss noch einmal.
»Ich bin Einer von Dreien und Drei in Einem«, entgegnete der Mann.
»Keine Ahnung, was du meinst. Geht’s auch einfacher?«
»Was sagst du, wer ich bin?«
»Du verkehrst Religion ins Gegenteil«, stellte Z.Z. Voss fest. »Du kommst von oben nach unten und nimmst uns den Stein vom Herzen.«
Der Mann nickte und zerstäubte weitere Brocken.
Z.Z. Voss stand bei ihm und sah ihm genau auf die Finger, doch er fand nicht heraus, wie er es machte. »Schade«, murmelte er, »das wäre ein schickes Geschäftsmodell gewesen.«
Die befreite, sorglose Stimmung griff um sich und hielt überraschend lange an – bis von unten herauf ein Tumult zu hören war. Z.Z. Voss blickte sich um und sah eine Schar von Beamten den Berg hinan eilen. Voran Maier und Meier.
»Das darf er nicht!«, schrie Maier, »Unhold!«, wetterte Meier.
Die Beamten kamen näher und fuchtelten mit ihren Waffen.
»Er nimmt die Steine hinweg, vernichtet die Schuld! Das dürfen nur die Götter!«, keuchte Maier, blieb bei der Ansammlung von Verurteilten stehen und hielt sich atemlos die Seite.
Doch der Mann vom Heiligen Berg nahm ungerührt weitere Steine an sich und ließ sie verschwinden.
Da trat Meier vor, warf sich in die Brust und tönte: »Kraft des mir verliehenen Amtes verklage ich Sie der unerlaubten Anmaßung und spreche Sie der Götterlästerung schuldig.« Er fächelte Staub von seinen Offiziersabzeichen und Orden.
Teile der Menschenmenge wurden nervös und selbst Z.Z. Voss fragte sich, ob es womöglich Unrecht war, was der Mann mit den Steinen tat. Nahm er ihnen etwas Entscheidendes weg und betrog sie? Schon begannen einige zu murren und meckern. Dann flammte Zorn unter ihnen auf, wütende Gesichter waren zu sehen, Menschen, die ihre Steine an sich rissen, sie nicht länger von irgendwem antasten lassen wollte.
»Meier hat recht«, rief ein Mann, »der Stein ist ein Teil von mir. Niemand darf ihn so einfach zerstören.«
Meier holte Luft und sagte mit weithin vernehmbarer Stimme: »Aufgrund der Schwere Ihres Vergehens und in Ermangelung der Möglichkeit zu einem ordentlichen Verfahren verurteile ich Sie zur Pein durch den Stein!«
Das war der Dammbruch. »Steinigt ihn!«, riefen einige und rollten ihre Brocken von allen Seiten auf und über den Unbekannten.
»Hört auf«, schrie Z.Z. Voss und sprang dazwischen, erreichte jedoch nichts außer schmerzliche Tiefschläge. »Schluss damit, Ihr steinreichen Dummköpfe«, fluchte er. »Er ist doch unsere einzige Chance!«
Aber es nutzte nichts. Andere schlossen sich dem Krawall an und immer mehr machten mit. Es gab ein entsetzliches Tohuwabohu, der Mann vom Berg versank in einer Wolke aus Dreck und Gestein.
Erst als der Staub sich legte, erkannten sie, dass der Unbekannte leblos am Boden lag und sämtliche Steine ins Nichts aufgegangen waren. Sie waren einfach verschwunden. Atem- und ratlos standen die Menschen herum und wussten sich keine Erklärung, spähten verschämt auf den geschundenen Körper des Fremden.
Z.Z. Voss fiel auf die Knie, fühlte vergeblich nach Puls und Herzschlag.
»Gehen wir«, sagte Meier und die Menge setzte sich in Bewegung, marschierte in sich gekrümmt zurück ins Tal. Niemand trug mehr die Last eines Steines und dennoch schien keiner froh darüber zu sein. Aus der Ferne sah Z.Z. Voss, wie sie am Fuß des Berges begannen, sich neue Brocken zu bauen, und er schüttelte fassungslos den Kopf.
Nur wenige blieben zurück. In stillem Einvernehmen hoben sie den Fremden auf, trugen ihn in eine Höhle, betteten ihn dort so gut es ihnen möglich war und rollten mit gemeinsamer Anstrengung einen besonders schweren, großen Fels vor das Grab. Danach trauerten sie, trauerten den ganzen Tag, trauerten bis in die Nacht hinein.
Auch den nächsten Tag harrten sie dort aus und verdrängten den Gedanken daran, wie es weitergehen sollte. Als sie aber am darauffolgenden Morgen erwachten, musste eine Entscheidung gefällt werden.
»Un‘ nu‘?«, fragte Z.Z. Voss. »Rauf oder runter?«
Die anderen zuckten ratlos die Schultern, sahen rauf, sahen runter. Bis jemand aufsprang und schreiend auf das Grab zeigte. Alle Köpfe flogen herum und absolute Stille kehrte ein.
Der Stein war weg. Das Grab lag offen vor ihnen.
Z.Z. Voss stürzte sich in den Eingang und sah sich um, sah nichts und niemanden, sah zurück zu anderen. »Er ist weg.«
Erschrocken und ratlos schauten alle einander an.
Da löste sich aus dem göttlichen Nebel der Bergesspitze eine Gestalt und blieb dort mit offenen Armen stehen. »Keine Sorge!« Worte aus der Ferne sanken zu ihnen herab. »Ich erwarte und begleite Euch.«
»Ha!« Z.Z. Voss schlug sich auf die Schenkel. Wieder erfasste ihn diese Erleichterung, die offenbar nur der Fremde schenken konnte. Ungetrübte Freude. »Ich wusste es!«, rief Z.Z. Voss. »Er lebt! Der Kerl ist nicht totzukriegen. Bei dem beißt der Tod auf Granit.« Dann rief er den Berg hinauf: »Steig herab, Herr.«
Doch der Unbekannte wandte sich zum Gehen und antwortete: »Ich gehe zurück zu dem, der mich gesandt hat. Aber als Geist werde ich bald unter Euch sein.«
»Was?« Z.Z. Voss kratzte sich am Kopf. Er musste sich verhört haben.
Aber als er sah, wie der Mann sich entfernte und den Berg hinan stieg, rief er ihm hinterher: »Ja, aber … Was sollen wir jetzt tun?«
»Ich habe Euch gerettet. Das glaubt.«
»Und das ist alles? Müssen wir nicht …«
»Kein Müssen«, fiel ihm der Unbekannte ins Wort. »Denn es ist ja bereits alles erledigt.«
»Aber ...«
»Kein aber!«
»Aber wenn …«
»Kein Wenn, kein Wenn-Dann. Alles ist getan, Ihr gehört zu mir. Darauf verlasst Euch.«
Und Z.Z. Voss verstand. Er lächelte erleichtert und sah dem Unbekannten nach, bis das Licht des Himmels ihn aufgenommen hatte. Dann klopfte er sich den Staub aus den Klamotten und begann auf diesem Fels eine Gemeinde zu bauen.
Simeon
Der Feiertag brach an und die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein. Drei betagte Männer näherten sich dem Heiligtum und staunten über den Strom der Menschen, die zur Ehre Gottes hierher kamen. Die Gläubigen brachten ihre Opfer, sie beteten und sangen, lauschten den Worten der Prediger. Alles in allem aber hatte es den Anschein einer atemlosen Geschäftigkeit.
»Es überrascht mich immer wieder«, begann der Mann, den sie Antitheus nannten, »was der Feiertag mit den Menschen macht. So ein Trubel!«
Die beiden anderen Männer, Fundamentheus und Simeon, nickten.
»Manchmal frage ich mich schon«, fuhr Antitheus fort, »wie wichtig Gott bei alledem noch ist.«
Simeon verdrehte die Augen. »Alter Nörgler. Natürlich ist ihre Frömmigkeit nicht makellos. Ich bin dennoch erfreut zu sehen, dass sie herkommen und geben und nehmen. Vielleicht ist so manch einem Gott wieder wichtiger, wenn er anschließend nach Hause geht.«
»Du wirst altersmilde, lieber Simeon«, meinte Anthitheus und zwinkerte seinem Freund zu. »Ich erinnere mich an Zeiten, da dir der ungetrübte Glaube wichtiger als alles andere war.«
»Ja, Recht hast du, alter Freund«, gab Simeon zu. »Aber verwechsle Weisheit nicht mit Altersmilde.«
»Oho!«, sagte Antitheus, »er hält sich für weise.«
Fundamentheus lachte über das ganze Gesicht, schwieg aber.
»Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass Glaube den Menschen überfordert?«, fuhr Simeon ungerührt fort.
Antitheus sah ihn irritiert an. »Überfordern? Höre, mein Freund, früher folgten die Menschen strengen Gesetzen, um Gott zu gefallen. Als das nicht funktionierte, gab Gott klein bei und sagte, ein aufrichtiger Glaube an seine Liebe und seine Vergebung seien genug. Diese Lehre ist leicht und herzlich. Sie wird wohl kaum jemanden überfordern.«
Simeon zog eine Schnute. »Ich bin mir da nicht sicher. Der Mensch bleibt Mensch, bleibt Sünder, ganz gleich, ob er Geboten folgt oder Glauben schenkt. Am Ende hängt doch alles von der Gnade Gottes ab.«
Nun schaltete sich auch Fundamentheus ein. »Nimm die Dinge nicht zu leicht«, bat er. »Natürlich steht die Gnade Gottes über allem. Aber der Gehorsam dem Gesetz gegenüber bleibt ebenso wichtig wie der Glaube und beide sind vom Menschen gefordert.«
»Ah!«, machte Antitheus, »ich ahnte schon, dass du das einwerfen würdest. Schön, dass du dich an unserem Diskurs beteiligst.«
Fundamentheus deutete eine Verbeugung an.
»Wie ihr sicher wisst«, begann Antitheus, »halte ich von alledem nichts. Der Mensch erschuf sich einen Gott, um die Welt zu verstehen und die Moral aufzurichten, und als es ihm zu schwierig damit wurde, erdachte er sich Gottes Gnade, damit ihm Leben und Glaube nicht allzu sauer werden. Es freut mich jedoch, dass ich offenbar der einzige Ungläubige bin an diesem Ort.«
Fundamentheus schüttelte tadelnd den Kopf, entgegnete aber nichts.
Die drei Männer durchschritten ein wuchtiges Portal und betraten das Heiligtum, dessen weite Mauern ein ganzes Dorf umfasst hätten. Unter der eindrucksvollen Kuppel klang das Gewirr der vielen tausend Stimmen wie das Gesumme in einem Bienenstock. Der Duft von Kerzen, Gewürzen und Parfum lag in der Luft und übertünchte alle menschlichen Ausdünstungen. Die drei Männer waren beeindruckt und ganz gleich, was und ob sie glaubten, sie spürten das Heilige dieses Ortes.
»Der Tempel der Menschlichkeit«, rief Antitheus provozierend.
»Der Tempel der Göttlichkeit«, widersprach Fundamentheus.
»Das Haus Gottes«, sagte Simeon. »Aber still jetzt! Seht da!«
Simeon hatte einen etwa zwölfjährigen Jungen entdeckt, der mit seinen Eltern im Gedränge stand und sich neugierig umschaute. Der Knabe sah nicht anders aus als andere Kinder in diesem Alter, und doch wussten Antitheus und Fundamentheus sogleich, warum Simeon auf ihn zeigte. Der Junge war jemand Besonderes.
»Er hat die Aura der Vollkommenheit«, flüsterte Antitheus. »Ein Mensch, wie er sein sollte.«
»Ja«, stimmte Fundamentheus zu, »aus ihm strahlt etwas Göttliches. Ein Frommer, wie er sein sollte.«
»Gott selbst«, stammelte Simeon, stürzte auf den Jungen zu und fiel vor ihm auf die Knie.
Seine Mutter zog ihn sofort schützend an sich und legte ihren Arm um seine Schultern. Der Vater trat einen Schritt vor und machte eine abwehrende Bewegung. Der Junge jedoch blieb gelassen und blickte Simeon freundlich an.
»Gott, mein Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden sterben«, sagte der Alte und blickte verklärt gen Himmel, der allerdings durch das Dach des Heiligtums verdeckt war. »So wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Messias gesehen, den du offenbarst vor allen Völkern, ein Licht, um die Nichtgläubigen zu erleuchten, und zum Lobgesang der Gläubigen.«
Ringsum blieben die Menschen stehen und folgten gespannt der seltsamen Szene. Simeon erhob sich, legte dem Knaben die Hand auf das Haupt und segnete ihn, danach auch seine Eltern.
»Ich danke dir«, sagte der Junge.
»Komm jetzt«, sagte die Mutter und zog ihr Kind fort, der Vater trottete hinterher.
»Komm jetzt«, spottete Antitheus und half Simeon beim Aufstehen, Fundamentheus stand fassungslos dabei. Die drei Männer tauchten in der Menge unter, und Antitheus führte sie in eine ruhige Ecke, in der sie ungestört reden konnten.
»Was ist denn in dich gefahren?«, blaffte Antitheus. »Ich weiß ja von deiner Hoffnung, nicht eher zu sterben, als bis du den Messias gesehen hast. Aber jetzt hast du es plötzlich eilig oder wie? Kniest vor diesem Kind nieder …«
»Beruhige dich«, mahnte Simeon. »Ich weiß, wen ich gesehen habe. Dieser ist der Sohn Gottes, der Messias, auf den ich gewartet habe. Gott ist Mensch geworden und hat eine Wohnung bei uns. Mein Leben hat sich erfüllt.«
»Du gehst zu weit«, schimpfte nun auch Fundamentheus. »Wie kann Gott Mensch werden! Du lästerst seine Heiligkeit.«
Simeon verschränkte die Arme und stellte sich stur. »Wie Gott Mensch werden kann, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass er es ist. Punkt.«
»Du irrst«, widersprach Fundamentheus mit Nachdruck. »Das Heilige bleibt heilig. Gott bleibt Gott. Und das Profane bleibt profan. Mensch bleibt Mensch. Sünder bleibt Sünder. Dazwischen gibt es nichts, keine Brücke, keine Vermischung, keinen Schleichweg. Doppelpunkt.«
»O doch. Gott kommt zu uns, da wir nicht zu ihm kommen können. Gott wird einer wie wir, denn nur so wird er uns retten.«
»Gott als Mensch natürlich ...«, lästerte Fundamentheus. »Und eines Tages haben wir auch Gott als Lamm, Gott im Brot und Gott im Wein oder Gott im Wasser. Gott als Kind! Welche Blasphemie. Geboren von dieser Frau, seiner Mutter, die dann ja wohl eine Göttin ist oder wie?«
Simeon zuckte die Schultern und schwieg.
»Ihr Beiden macht mir Spaß.« Antitheus grinste. »Ihr geht ins Heiligtum und wundert euch, dort das Heilige zu finden. Ihr geht ins Haus Gottes und wundert euch, Gott dort zu treffen.«
»Wir haben nicht Gott getroffen«, widersprach Fundamentheus. »Wir haben ein Kind gesehen. Mehr nicht.«
»Siehst du, lieber Fundamentheus«, sagte Antitheus, »unsere Standpunkte liegen nicht weit auseinander. Ich sehe es nämlich genauso. Wir haben ein Kind gesehen, nichts weiter. Gott war nicht da.«
»Natürlich war Gott da.« Fundamentheus klang gereizt. »Aber er war nicht in dem Jungen und war schon gar nicht der Junge selbst.«
»Seht!«, rief Simeon.
Die beiden anderen drehten sich um und erspähten den Jungen, der auf sie zukam. Seine Eltern waren nicht bei ihm. Er stellte sich zu den Männern, die sich plötzlich wie seine Gäste vorkamen, aber immerhin willkommene Gäste.
»Wie heißt du, mein Sohn?«, fragte Simeon.
»Mein Name ist Jesus, ich stamme aus Nazareth.«
»Und was führt dich zu uns?«
»Ich sah euch Drei miteinander sprechen, bevor ihr mich saht«, sagte der Junge. »Lasst mich teilhaben an euren Gesprächen.«
Die Männer warfen einander ratlose Blicke zu.
Jesus wandte sich an Antitheus. »Du glaubst nicht daran, dass es einen Gott gibt«, sagte er. »Aber wäre es nicht schön, wenn es einen Gott gäbe und er sich auf den Weg zum Menschen machte?«
Antitheus zögerte. »Ja … Ja, das wäre tatsächlich schön, soweit es ein guter Gott ist.«
Der Junge blickte Fundamentheus an. »Und wäre es nicht schön, wenn der gute Gott seine Gottheit verlässt, wenn das Heilige das Heiligtum verlässt, um als Mensch dem Menschen nahe zu sein?«
Fundamentheus schien überrascht. »Natürlich, das wäre schön, soweit Gott trotzdem Gott bliebe.«
»Wäre es nicht schön, wenn all das bei Gott möglich wäre und Gott Mensch würde?« Die Augen des Jungen strahlten Simeon an.
»Es wäre wahrhaftig schön, und es ist schon geschehen«, meinte Simeon.
Die Vier setzten sich auf freie Bänke und waren alsbald so tief in ihre Gespräche verwickelt, dass sie kaum wahrnahmen, wie viele Menschen sich um sie herum versammelten und ihnen lauschten. Jesus stellte Fragen und gab Antworten, die sie alle in Erstaunen versetzten.
»Seht euch um«, sagte er. »Sie kommen ins Heiligtum Gottes und wissen vielleicht gar nicht, was sie hier suchen, wissen vielleicht nicht, was sie erwarten dürfen. Sie begehen ihre Feiertage und können doch kaum feiern. Glück hat, wer weiß, dass jedes Glück nur vorläufig ist und es viele Fragen unbeantwortet lässt. Viele aber wissen dies nicht mehr. Ihre Leere, ihre Sehnsüchte und Hoffnungen sind von all dem Gerümpel des Lebens verdeckt. Und wenn sich die geheimen Regungen doch einmal Bahn brechen, dann erschrecken viele und laufen davon.«
Das Gedränge um Jesus und die drei Männer nahm weiter zu.
»Ist es nicht so, dass der Mensch seine Heimat verloren hat und sich nach einem Zuhause sehnt, in dem alle Last von ihm fällt? Dieses Zuhause ist bei Gott, doch der Mensch erkennt es nicht, kann sich nicht vorstellen, dass es gut ist, bei Gott zu sein. Deshalb bleibt der Mensch in seinem Innersten allein und unerfüllt.«
Die Menge um sie herum war still geworden.
»Deshalb ist auch Gott traurig. Er teilt unsere Sehnsucht«, sagte Jesus. »Was aber soll Gott tun, wenn er den Menschen liebt und dieser nichts von ihm wissen will?« Der Junge hielt inne und sah vielen in die Augen. »Vielleicht macht er sich auf den Weg zu den Seinen. Vielleicht wird er ein Mensch unter Menschen. Vielleicht findet er hier sogar ein Zuhause und alles wird gut …«
Erst Stunden später zwängte sich eine aufgeregte Mutter durch die Menge und seufzte erleichtert, als sie ihren Sohn entdeckte.
»Hier bist du! Wir haben dich schon gesucht. Dein Vater ist voller Sorge um dich.« Und man sah ihrem Gesicht an, dass es ihr ebenso ergangen war.
»Aber Mama, ihr musstet mich nicht suchen. Ihr hättet euch doch denken können, dass ich im Haus meines Vaters bin.«
Die Menschen um sie herum schwiegen. Niemand widersprach. Vielleicht verstand auch nicht jeder, was Jesus gemeint hatte. Aber die drei alten Männer verstanden es wohl und wunderten sich sehr.
Die Mutter nahm Jesus bei der Hand und ging mit ihm weg. Der Junge winkte zum Abschied und die Männer winkten zurück.
»Dieser Junge lässt mich wünschen, dass es einen Gott gibt«, murmelte Antitheus.
»Und ich wünschte, Gott käme uns so nah, dass er Mensch würde«, gab Fundamentheus zu.
»Und ich wünschte, dass Gott so ist wie dieser Jesus«, sagte Simeon. »Könnte es ein größeres Heil für uns geben?«
Kreuz und Queer
Es begab sich aber, dass Jesus die Fenster des Himmels öffnete und die frische Luft tief einatmete. Genüsslich schlürfte er einen Latte Macchiato mit aufgeschäumter Hafermilch und im geschirrspülechten Becher aus nachwachsenden Rohstoffen.
Gedankenverloren sah er auf das Treiben der Menschen hinab. Er sah Not, Schmerz, Unrecht und Gewalt. Hier und da fand er Glück. Und er entdeckte Liebe, Mitleid, Fürsorge. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass wieder ein paar Jahre vergangen waren und sich nichts geändert hatte.
Dann schaute Jesus genauer hin und suchte seine Gemeinde. Es gab viele, die an ihn glaubten, und noch mehr, die nicht an ihn glaubten. Er betrachtete die katholische Kirche, die sich selbst immer noch zu wichtig nahm und es nicht lassen konnte, sich zwischen Gott und Mensch zu schieben. Er versuchte, die evangelische Kirche zu entdecken, doch die hatte inzwischen so viele Konturen eingebüßt, dass sie kaum noch zu erkennen war. Dafür waren die Zungen der Pfingstgemeinden nicht zu überhören, die ihm allmählich Kopfschmerzen bereiteten. Die Freikirchen eiferten weiterhin für ihn und knechteten die Gläubigen mit starren Methoden einer unerreichbaren Rechtgläubigkeit. Zahlreiche Sekten kloppten sich derweil um das Exklusivrecht auf ewiges Heil.
Gähnend trat der Heilige Geist neben ihn, einen doppelten Espresso in der Hand.
»So schlimm?«, fragte Jesus.
»Es ist Sonntag. Gleich beginnen die Gottesdienste. Da muss ich voll da sein.«
»Die Katholiken haben längst mit der Frühmesse begonnen«, erinnerte Jesus.
»Die kommen ohne mich klar.« Der Heilige Geist kratzte sich am Hinterkopf. »Die haben ja das priesterliche Amt. Da geht’s auch ohne mich.«
Für einen Augenblick schwiegen sie und hingen ihren Gedanken nach.
»Wie war’s gestern bei dir?«, fragte der Heilige Geist.
»Ganz gut«, antwortete Jesus. »Und bei dir?«
»Ein paar Hausbesuche, vereinzelte Wiedergeburten, die üblichen Bekehrungen, einige Taufen, nichts Besonderes.«
»Dann schau mal, was ich im Internet entdeckt habe.« Jesus schnappte sich sein Tablet und begann darauf herumzuwischen.
Der Heilige Geist sah ihm über die Schulter.
»Hier.« Jesus rieb dem Heiligen Geist das Tablet unter die Nase.
»Was ist das?«
»Ein christliches Forum im Internet. Das ist die Zukunft: die digitale Gemeinde.«
Der Heilige Geist schluckte. »Internet ist ja nicht so meins. Ich komm einfach nicht zwischen die Bits und Bytes.«
Fahrig antwortete Jesus: »Du musst dringend an deiner Digitalisierung arbeiten« und wischte erneut über die Oberfläche. »Erlösung 4.0 reicht nicht mehr.«
Der Heilige Geist war ratlos.
»Auf der Plattform haben die sogar eine Ecke für die Partnersuche unter Gleichgesinnten«, sagte Jesus.
»Ach … Die haben die Liebe digitalisiert?« Mit einem Mal war der Heilige Geist neugierig. Er nahm Jesus das Tablet aus der Hand und begann zu lesen.
»Mehr oder weniger. So richtig gut klappt das nicht.«
Der Heilige Geist überflog einige Threads und war irritiert. »Gott ist die Liebe, Gott ist die Liebe … Wo komme ich denn da vor?«
Jesus sah ihn milde an: »Komm schon, alles gut. Du stehst halt in der zweiten Reihe. Weißt ja, deine Bits und Bytes … ChatGPT könnte echt was für dich sein. Damit geht alles leichter. Auch für dich. Bei der Gebetserhörung ist mir das eine Wahnsinnshilfe. Spart Zeit.«
Der Heilige Geist schwieg.
»Nimm’s nicht persönlich. Sieh dir lieber das hier an. Die vielen Diskussionen.« Jesus schien fasziniert. »Mir war gar nicht bewusst, was für ein regenbogenbunter Haufen wir sind. Da gibt es Erbauliches, Tröstliches und Liebevolles und ständig wird das Wort Gottes ausgelegt. Nicht wirklich gut, eher unbeholfen, aber immerhin. Sie geben sich Mühe. Und jeder darf das Wort ergreifen, wirklich jeder.«
»Und jede!«, korrigierte der Heilige Geist pieksig. »Vergiss das bitte nicht.«
Jesus verdrehte die Augen und schnappte dem Heiligen Geist das Tablet wieder weg. »Im Ernst, das ist wichtig für uns beide: Die machen unsere Arbeit. Legen schon mal Regeln fest, wer Christ ist und wer nicht, was man darf und was nicht. Tolle Vorleistung. Du weißt ja, systematische Theologie war nie meine Stärke. Aber hier bekomme ich eine Guideline für den Jüngsten Tag. Genial.«
Der Heilige Geist zog ein missmutiges Gesicht.
Jesus sah darüber hinweg. »Damit aber nicht genug. Wusstest du eigentlich, wie politisch die Christen sind? Der Hammer. Hier: Wie viele großangelegte geheime Verschwörungen es auf der Welt gibt und kaum jemand bekommt es mit. Wusste ich nicht. Oder hier: Impfen ist nicht gut. Jetzt weiß ich endlich, woher meine Beschwerden kommen. Und hier: Die AfD ist die neue christliche Partei mit christlichen Werten. Es gibt also noch Hoffnung. Und das: Einer hat behauptet, dass Vater queer ist. Das wollte nicht jeder glauben, äh, und auch nicht jede. Gab Ärger. Aber ich habe dabei gelernt, dass man zwischen Sünde und Sünder unterscheiden muss. Schwierig. Das wird am Jüngsten Tag noch mal brenzlig für mich. Rein oder raus. Da muss ich mich noch entscheiden. Apropos, bevor ich es vergesse: Die Endzeit hat begonnen und meine Wiederkehr steht bald bevor. Wie doch die Zeit vergeht, ich dachte, das zieht sich noch hin. Aber egal. Hauptsache, ich verpenne das nicht.«
Der Heilige Geist sah ihn pikiert an. »Und du bist sicher, dass die alle an dich und dein Kreuz glauben?«
»Jawohl.«
»So eine Vielfalt?«
»Die kommt doch von dir, du Schussel.« Jesus war sichtlich guter Laune. »Ich find’s irre. Die Christen sind kreuz und queer.« Er strahlte: »Meine Gemeinde!«
Der Heilige Geist atmete lautstark aus. »Ja, es ist ein Kreuz mit diesem entrückten, äh, verrückten Haufen.«
»Was ist los?«, fragte Jesus.
»Ich will ja nicht schon wieder nörgeln, aber …«
»Es hört sich bereits ganz danach an.«
»… das wird nichts mit dir und deiner Christenheit.«
»Bitte?«
»Hör dir selbst zu und du weißt, was ich meine.« Der Heilige Geist seufzte. »Seit zweitausend Jahren verfolge ich das Gewusel da unten, und das kommt dabei heraus. Manchmal frage ich mich, ob es nicht einen besseren Plan gebraucht hätte.«
Jesus kniff die Augenbrauen zusammen. »Du meinst, einen besseren Plan, als dich dahin zu schicken?«
Auch der Blick des Heiligen Geistes verdüsterte sich. »Ts. Mach du mal meinen Job und gib dich tagein tagaus mit diesen Kleingeistern ab.«
»Autsch. Wie kannst du nur! Sogar im Reich der Toten …«
»Vergiss es, auch nicht besser. War gestern noch da. Die drehen sich kuschelig um und schlafen lieber weiter. Sieh’s ein. Wir haben den Anschluss verloren. Da glaubt und macht jeder, was er will.«
Jesus schmollte. »Und jede.«
Der Heilige Geist brummelte: »So kriegen wir den Himmel jedenfalls nicht voll. Und du weißt ja, Vater hat großzügig ausgebaut. Platz ohne Ende.«
In einem Anflug von Sarkasmus schlug Jesus vor: »Wir könnten die Eintrittsgebühren senken.«
»Himmel …« Der Heilige Geist klang genervt. »Du selbst hast doch dafür gesorgt, dass sämtliche Gebühren bezahlt sind. Jeder darf hier rein, der es möchte. Und jede. Für lau.«
»Na toll, jetzt bin ich auch noch schuld daran. Weißte was? Geh doch zu TikTok. Die sollen es gefälligst so laut herausposaunen, dass es die ganze Welt hört: Die Tür zur Ewigkeit steht weit offen und Vater wartet. Den Himmel gibt’s umsonst!«
»Du warst auch schon mal geistreicher.« Der Heilige Geist kippte den Espresso herunter und ging.
Jesus rieb sich das Kinn. »Alle sind so gereizt und empfindlich. Dabei wollte ich doch nur Frieden und Erlösung bringen.« Dann zuckte er die Schultern und versank im Internet. Der Latte war einfach zu lecker.
Trinität
Wenn ein Christ gefragt würde, was das Besondere und der Mittelpunkt des christlichen Glaubens ist, dann müsste er auch die Dreieinigkeit Gottes nennen. Einen dreieinigen Gott gibt es nur im Christentum. Für das Christentum ist die Dreifaltigkeit Gottes das Dogma schlechthin, also eine Lehre, die unwiderruflich gilt. Davon kommt die Christenheit nicht mehr weg. Dieses Dogma ist älter als die lutherische, älter als die römisch-katholische, älter als die orthodoxe Kirche und andere. Dieses Dogma verbindet die Kirchen zu einer Christenheit. Und die Christenheit hat nach wie vor gute Gründe, über die Dreieinigkeit Gottes nachzudenken und an diesem Dogma festzuhalten.
Schöpfer, Retter, Gegenwärtiger
Es ist eine große Errungenschaft, dass Juden begannen, an einen Gott zu glauben, und dass sie groß von ihm dachten. Diesen Glauben haben wir Christen von den Juden. Wir bekennen den einen, großen Gott, und wir bekennen ihn als Gott den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Wir denken ihn als den Ewigen, als ein Wesen, das vor der Zeit war und nach der Zeit ohne Ende sein wird, als Wesen ohne Anfang und Ende.
Die Gefahr der Größe Gottes liegt darin, dass man ihn sich unnahbar, fern und starr vorstellt. Man denkt und glaubt ihn möglicherweise von sich und der Welt hinweg. Ein Gott, der fern, unnahbar und starr ist, der hat nichts Lebendiges mehr, der hat auch keine Geschichte in dieser Welt. Bei dem macht es keinen Sinn zu sagen: Gott macht etwas, zum Beispiel die Welt. Ein ferner, unnahbarer und starrer Gott ist kein schöpferischer Gott, er ist sich selbst genug. Bei dem hat es keinen Sinn zu sagen: Gott wird etwas, zum Beispiel Mensch. Ein ferner, unnahbarer und starrer Gott wird nichts, er ist schon alles. Bei dem hat es keinen Sinn, die Worte »vorher« und »nachher« zu gebrauchen, weil es für ihn keine Zeit gibt. Da gibt es keine Geschichte, da ist immer Ewigkeit.
Wir Christen glauben an den einen, großen, allmächtigen und ewigen Gott, aber wir glauben nicht, dass dieser Gott fern, unnahbar und starr ist. Wir glauben an einen lebendigen Gott, an einen Gott, der Geschichte macht. Wir glauben an einen schöpferischen Gott! An einen Gott, der sich diese Welt ausgedacht hat und der sie erhält. Wir glauben an einen Gott, der den Menschen geschaffen hat und ihn liebt. Wir glauben an Gott den Vater, dessen Geschichte diese Welt ist.
Wir glauben auch an einen Gott, der Mensch geworden ist, um diese Welt von ihrem Unheil zu erlösen. An einen Gott, der den Menschen nahegekommen ist, der ihnen ein Gegenüber ist auf Du und Du, der durch und für die Menschheit gestorben ist. Wir glauben an Gott den Sohn, der in der Welt Geschichte macht. Darum kann man ihn auch geschichtlich einordnen: Damals, vor 2.000 Jahren, gelitten unter Pontius Pilatus.
Und wir glauben an einen Gott, der in seiner Gemeinde gegenwärtig ist, der den Gläubigen allezeit nahe ist. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Menschen in die Geschichte Gottes hineinzieht, sie zu seinen Kindern macht und sie heiligt. Heiliger Geist heißt: Gott macht mich zu einem Teil seiner Geschichte mit den Menschen.
Ja, wir Christen glauben an den einen, großen, allmächtigen und ewigen Gott. Und von diesem Gott glauben wir, dass er in der Welt und unter uns der Lebendige ist. Er bleibt nicht für sich und ist sich selbst nicht genug. Gott kommt aus sich heraus. Er offenbart sich. Er teilt seine Lebendigkeit mit uns.
Das will das Dogma von der Dreieinigkeit Gottes aussagen, dass der unsichtbare, jenseitige und ewige Gott ein lebendiger Gott ist, der sich mit dieser und in dieser Welt eine Geschichte macht.
Drei in Einem
Die Frage nach der Dreieinigkeit Gottes war im Anfang die Frage nach Jesus dem Christus. Der war ein Mensch. Ein besonderer Mensch. Auch ein leidender und sterblicher Mensch. Er war ganz und gar Mensch.
Und das ist der Punkt: Jesus war Mensch. Und doch hatte man es in ihm mit Gott zu tun. Gott war in Jesus Mensch geworden. Christen glauben und bekennen genau das mit fröhlichem Herzen: Jesus Christus ist Gottes Sohn. Er ist nicht nur wahrer Mensch, er ist auch wahrer Gott.
Doch wie soll man das denken? Der eine Gott wird Mensch. Der Ewige kommt in die Zeit. Der Allmächtige wird ohnmächtig. Sind es etwa doch zwei Götter? Ein Gott der Vater und ein Gott der Sohn? Das kann nicht sein; denn Gott ist nur Einer. Dabei sind die Christen geblieben.
Und dann die Frage nach dem Heiligen Geist. In der Bibel ist von ihm die Rede. Und die Gegenwart Gottes im Heiligen Geist wurde immer wieder erfahren: Menschen kommen zum Glauben, sie lassen sich taufen, sie werden heil, sie lassen sich versöhnen.
Das wollte man denken können: Dass der eine Gott drei Personen ist. Dass er sich in diesen drei Personen unterschiedlich offenbart. Aus diesem Bedürfnis entstand mühsam das Dogma der Dreieinigkeit Gottes. Man kann den einen Gott in sich unterschieden denken. Gott ist der Vater und Gott ist der Sohn und Gott ist der Heilige Geist. Gott ist in sich unterschieden - und doch ist er der eine Gott.
Es geht um den einen Gott: Dieser Gott ist eine Einheit. Es geht um die drei Personen Gottes: Dieser Gott ist eine Gemeinschaft. Er ist in sich unterschieden. Gott ist Einheit; Gott ist Gemeinschaft.
Gott ist Einheit
Gott ist Einheit. Er ist ein Gott. Gottes Eigenschaften sind einheitlich, z. B. die Liebe. Wenn wir von der Liebe Gottes reden, dann können wir sie nicht auf den Vater beschränken oder den Sohn oder den Heiligen Geist. Die Liebe Gottes ist die Liebe des einen Gottes, der Einheit Gottes. Die Liebe des Vaters ist die Liebe des Sohnes ist die Liebe des Heiligen Geistes.
Auch die Taten Gottes sind einheitlich, sie sind Taten des einen Gottes. Sie können nicht ausschließlich einer göttlichen Person zugeordnet werden. Wenn z. B. jemand zum Glauben an Jesus Christus kommt, so können wir nicht sagen: Das hat Jesus Christus in Dir gewirkt oder der Heilige Geist oder Gott der Vater. Die Bekehrung eines Menschen ist die Tat des einen Gottes, der Einheit aus Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Wenn also jemand von der Liebe Jesu spricht, dann kann er keine andere Liebe meinen als die Liebe des Vaters. Wenn jemand Gott Vater im Gebet anruft, dann ruft er zugleich den Heiligen Geist an. Wenn jemand bekennt, dass ihm der Heilige Geist eine Bibelstelle eröffnet, dann ist dabei genauso der Sohn am Werk.
Gott ist Einheit, die sich nicht trennen lässt. Gott kann über sich »Ich« sagen.
Gott ist Gemeinschaft
Wir hören ja gerne von der Liebe Gottes. Und wir glauben sogar, dass Gott die Liebe selbst ist. Aber wenn wir sagen, dass Gott die Liebe ist, ergibt die Aussage keinen Sinn, solange Gott allein ist. Wenn es nur der eine Gott ist, dann kann er nicht die Liebe sein. Liebe braucht immer jemanden, der geliebt werden kann. Ein einsamer Gott aber kann nicht lieben.
Jetzt könnte man sagen: Dafür hat er den Menschen erschaffen. Das aber würde bedeuten, dass die Liebe erst entstand, als Gott den Menschen erschuf. Dann wäre die Liebe ein Zufall, und wir könnten von Glück sagen, dass nicht zufällig Hass entstanden ist. Wenn Gott nur deshalb die Liebe ist, weil er den Menschen erschaffen hat, dann ist die Liebe nicht zutiefst eine Eigenschaft Gottes.
Aber Gott ist die Liebe. Und Gott ist die Liebe, weil er in sich unterschieden ist. Er ist der Vater und er ist der Sohn und er ist der Heilige Geist. Er ist Gemeinschaft. Gott kann über sich sagen: »Wir« und »Du«. Darum kann Gott die Liebe sein: Der Vater liebt den Sohn mit väterlicher Liebe. Und der Sohn liebt den Vater mit kindlicher Liebe.
GemEinSchaft
Gott ist Einheit. Gott ist Gemeinschaft. Und Gott ist Einheit in der Gemeinschaft. Und Gott ist Gemeinschaft in der Einheit.
Wenn Christen beispielsweise an die Schöpfung denken, dann denken sie an den Vater. Richtig so. Aber wer die Bibel kennt, der weiß, dass auch der Sohn und der Heilige Geist schöpferisch wirken. Eigentlich könnte man sowohl dem Vater als auch dem Sohn als auch dem Heiligen Geist für die Schöpfung danken. Oder einfach dem einen Gott. Gott ist Einheit. Gott als solcher ist Schöpfer. Aber in dieser Einheit als Schöpfer ist er auch Gemeinschaft, ist in sich unterschieden: Schöpfung wird vor allem mit dem Vater in Verbindung gebracht - der Vater ist in besonderer Weise Schöpfer.
Wenn ein Christ Gott für seine Erlösung danken möchte, dann betet er wahrscheinlich zu Jesus Christus, der die Erlösung am Kreuz erwirkt hat. Richtig so, denn Gott der Erlöser ist in sich unterschieden, er ist Gemeinschaft, und in dieser Gemeinschaft ist der Sohn in besonderer Weise der Erlöser. Zugleich aber ist Gott Einheit: Gott Vater ist auch Erlöser und der Heilige Geist ebenso. Doch der Sohn in besonderer Weise.
Gott ist Einheit in der Gemeinschaft. Und Gott ist Gemeinschaft in der Einheit.
Nachgedacht
Wenn man das alles bedenkt, kommt die Frage auf: »Wer hat sich sowas ausgedacht?« Und die richtige Antwort lautet: »Niemand.« Die Christen vor über 1.500 Jahren haben einfach ernst genommen, was sie mit Gott erlebten, was sie von ihm glaubten und was ihnen überliefert worden war. Und darüber haben sie nachgedacht. Die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes ist nicht ausgedacht, sie ist vielmehr diesem Gott nachgedacht, sie ist der Spur des sich offenbarenden Gottes hinterhergedacht. Gott kommt aus sich heraus, und der Mensch denkt ihm nach.
Das Dogma der Trinität ist auf der Spur Gottes weit fortgeschritten, aber eingeholt hat es ihn nicht. Deshalb bleibt an ihm auch immer etwas vom Geheimnis Gottes. Das macht nichts. Nur das Ausgedachte, das Erfundene hat kein Geheimnis mehr; das Nachgedachte dagegen ist immer noch Grund zum Staunen, zum Wundern, zum Lobpreis.
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For A Dying Friend
Dear Lord, first of all I praise your glory
For all that You have done to him
You turned his life into a God-has-saved-me story
Replaced an old opinion why he came to be
One thing I know for sure
Your love is real and pure
You softly took the sinner’s hand
And far beyond, far beyond the end
You’ve put him right with You
Be that his comfort, ‘cause
The axe is ready to cut down this tree at the roots
Dear Lord, too many people had to leave
Torn from life though they were young
Did they reach a certain point of what was their belief?
Were they nearest to You or furthest away then?
One thing I know for sure
Your love is real and pure
You will always stay beside him
You will take care when his light becomes dim
You will always carry him
Be that his comfort, ‘cause
He’s the next in line to be cut down at the roots
Dear Lord, You are his sunshine every day
You won’t ever let him drop
But tell me the cause You let him die this way
Has he reached a certain point of your relationship?
One thing I know for sure
Your love is real and pure
Though he will be cut down at the roots
He’ll be growing like a tree in Your eternal woods
His death will turn to a seed that sprouds
Be that his comfort, when
The axe is going to cut down this tree at the roots
Lyrics & Music: Dirk Röse
Recorded: 2017
© 1997
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Der Glimmende Docht
Dezembernacht / über dem Horizont ein heller Schein
Fliegt ein Komet / sein Schweif so hell, er soll ein Trost uns sein
Die Menschheit wacht / Gott hat uns nicht vergessen, dieses Bild
Für uns gedacht / wir sind es, denen seine Liebe gilt
Den glimmenden Docht / löscht er nicht aus / geknickt ist der Halm / reißt ihn nicht heraus
Ist das eine Hoffnung, die die Menschheit trägt / oder Sehnsucht, die noch viel mehr Elend hegt?
Atlantikkurs / von Rotterdam aus Jan in See heut sticht
Komet der Nacht / ein gutes Omen für ihn dieses Licht
Der zähe Jan / das Leben hat ihm wahrlich nichts geschenkt
Am Firmament / ein Zeichen, das alles zum Guten lenkt
Den glimmenden Docht / löscht er nicht aus / geknickt ist der Halm / reißt ihn nicht heraus
Ist das eine Hoffnung, die uns alle trägt / oder Sehnsucht, die noch viel mehr Elend hegt?
Ein Sturm kommt auf / das Schiff gerät hinein, zum Spielball wird
Der Seemann rutscht / über das nasse Deck, das Unheil spürt
Das Meer, es tobt / mit Wellen häuserhoch, ist aufgewühlt
Dann schreit Jan auf / die Woge hat ihn über Bord gespült
Den glimmenden Docht / löscht er nicht aus / geknickt ist der Halm / reißt ihn nicht heraus
Ist das eine Hoffnung, die uns alle trägt / oder Sehnsucht, die noch viel mehr Elend hegt?
Jetzt ist er dran / das Schicksal nimmt gern seine Not in Kauf
Noch einmal taucht / das Schiff ganz oben auf den Wellen auf
Dann wird es still / in ihm, Jan schließt mit seinem Leben ab
Die Einsamkeit / einer verlor’nen Seele, Seemannsgrab
»Herr im Himmel / Rettung gibt es nicht. / Mach doch bitte jetzt / dass mein Auge bricht
Lass mich nicht ertrinken / elendig voll Qual / mach ein schnelles Ende / ausnahmsweise mal«
Den glimmenden Docht / löscht er nicht aus / geknickt ist der Halm / reißt ihn nicht heraus
Ist das eine Hoffnung, die uns alle trägt / oder Sehnsucht, die noch viel mehr Elend hegt?
Im Wellental / stürzt Wasser auf ihn, er um Atem ringt
Das war’s dann wohl / denkt Jan voll Angst, als er im Meer versinkt
Dann kommt er hoch / er schnappt nach Luft und bitterlich er lacht
Das Spiel mit ihm / ums Überleben währt die ganze Nacht
»Herr im Himmel / Hoffnung gibt es nicht. / Mach doch bitte jetzt / dass mein Auge bricht
Ich bin hier allein / kein Zeuge deiner Tat / mach ein Ende jetzt / das Leiden ist zu hart
Will nicht glimmen / nicht geknickt mehr sein / will lodern wie ein Feuer / wie der Sonnenschein
Will in Blüte steh‘n / will im Wind mich dreh’n / will den Himmel seh’n / will auf Wolken geh‘n«
Den glimmenden Docht / löscht er nicht aus / geknickt ist der Halm / reißt ihn nicht heraus
Das ist keine Hoffnung, die uns alle trägt /
das bleibt mir ein Rätsel / das Gott vor aller Zeit in diese Welt gelegt
Am nächsten Tag / zieht der Komet dahin bedeutungsleer
Die Sonne scheint / ertränkt ihr Licht im eisigkalten Meer
Ein zynisch Werk / dem Sturm folgt Kälte auf derselben Bahn
Und Jan der treibt / auf einer Planke starr im Ozean
Lyrics & Music: Dirk Röse
Recorded: 2020
© 2015
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What If The Lord Had Not Been On Our Side
What if the Lord had not been on our side?
Answer, o Israel
If the Lord had not been on our side
When our enemies attacked us
Then they would have swallowed us alive
In their furious anger against us
Say, o Israel
Our help comes from the Lord
Who made heaven and earth
So let us thank the Lord, praise the Lord!
Praise Him for the mighty things he has done!
What if the Lord had not been on our side?
Answer, o Israel
If the Lord had not been on our side
The water would have covered us
Then the flood would have carried us away
The raging torrent would have drowned us
Say, o Israel
Our help comes from the Lord
Who made heaven and earth
So let us thank the Lord, praise the Lord!
Praise Him for the mighty things he has done!
What if the Lord had not been on our side?
Answer, o Israel
But the Lord has been on our side
He has not let our enemies destroy us
We’ve escaped like a bird from a hunter’s trap
The trap is broken and we are free
Say, o Israel
Our help comes from the Lord
Who made heaven and earth
So let us thank the Lord, praise the Lord!
Praise Him for the mighty things he has done!
Lyrics: Psalm 124 / Music: Dirk Röse
Recorded: 2018
© 1993
Neue Feiertage für das Land
Mittlerweile sind weniger als fünfzig Prozent der Bevölkerung in einer der großen Kirchen organisiert. Damit sind Kirchenmitglieder noch lange keine Minderheit, denn sie stellen hierzulande nach wie vor die mit Abstand größte Gruppe. Der Vergleichswert sind nämlich die »nicht Organisierten« und die »in deutlich kleineren Gruppen Organisierten«. Trotzdem müssen sich Deutschland und die Kirchen klar darüber sein, dass hier ein Bedeutungsverlust in großen Schritten voranschreitet.
In der Vergangenheit wurde bei solchen Nachrichten gerne über die Abschaffung der Kirchensteuer diskutiert. Zurzeit haben andere Themen berechtigterweise absoluten Vorrang und Kirche fällt in der öffentlichen Wahrnehmung hinten runter. Aber selbst das ist ein Zeichen.
Spaßeshalber könnte man ja mal fordern, dass die christlichen Feiertage abgeschafft werden. Auch die unterliegen dem Bedeutungsverlust. Lediglich beim Weihnachtsfest ist die Umdeutung in ein »Fest der Liebe« gelungen. Karfreitag, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und der Reformationstag hingegen sind ebenso verzichtbar wie Heilige Drei Könige, Fronleichnam, Mariä Empfängnis, Allerheiligen und der Buß- und Bettag. Das gäbe einen lustigen Aufschrei.
Doch Sorge um zu wenige zusätzliche freie Tage muss eigentlich niemand haben. Als Ersatz stehen bereits viele unterbewertete Feiertage in den Startlöchern: Halloween, Black Friday, der Weltfriedenstag, der Welttag der Frauen und das »Hochamt der Langschläfer:innen«. Für die Jugend und das Emsland sollte zusätzlich der Sonntag vom Feiertag in einen »Reiertag«* umdeklariert werden (offiziell: »Tag des ausgeprägten Unwohlseins«). Zusammen mit dem Ersten Mai, dem Tag der Deutschen Einheit und Silvester/Neujahr hätten wir damit ein hübsches Abbild unserer Gesellschaft.
*reihern: Emsländisch für »nicht verwertbare Mageninhalte ausstoßen«
Die Wahrheit pokern
Wir pokern hoch. Angenommen, es gibt doch einen Gott und er bestimmt die Regeln. Dann könnte es beizeiten eine böse Überraschung geben, wenn wir völlig unvorbereitet auf ihn treffen und er sich nicht darum schert, wie wir uns Diesseits und Jenseits, Gut und Böse, Sinn und Unsinn, verantwortliches Dasein vorgestellt haben. Dass wir relativ leichtfertig auf die Ewigkeit zusteuern, bestenfalls an unsere eigenen Vorstellungen des Heiligen glauben oder uns von der regional vorherrschenden Religion vereinnahmen lassen, ist riskant. Wir könnten daneben liegen. Dummerweise haben wir nur diese eine Chance des Lebens, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Es ist ärgerlich, dass auch die sympathischsten und vertrauenswürdigsten Glaubensträger auf völlig unterschiedliche Antworten kommen. Das ist das Gemeine am Jenseitigen. Es ist zu wenig diesseitig. Es geht nicht anders, als dass wir pokern. Es sollte uns aber zumindest bewusst sein, dass wir pokern.
Lachen über Gott
Sarah und ihr Mann Abraham sind längst über das Alter hinaus, in dem Eheleute Eltern werden. Beide sind bis jetzt kinderlos geblieben, und das dürfte sich auch nicht mehr ändern. Doch dann tritt Gott in ihr Leben und verspricht, Abraham werde noch Stammvater eines ganzen Volkes werden. Und als Gott eines Tages zu Besuch ist, wird auch deutlich: Abraham wird einen Sohn zeugen und die Mutter des Kindes soll die alte Sarah werden.
Sarah hört es und muss lachen. Sie weiß vielleicht gar nicht genau, warum. Aus Unglaube, aus Verbitterung, aus Freude, oder weil sie es für einen Witz hält, was Gott verspricht? Gott jedenfalls hakt nach und fragt, warum Sarah lacht. Da bekommt sie es mit der Angst zu tun und leugnet, dass sie gelacht hat. Doch wovor hat sie plötzlich Angst? Dass Gott ihr Unglauben vorwerfen könnte? Oder dass Gott zornig werden könnte über ihr Lachen? Vielleicht bringt Sarah beides nicht zusammen: »Gott« und »Lachen«. Darf man über Gott lachen? Versteht er einen Spaß? Versteht er diese und andere echt menschliche Regungen? Die Bibel lässt der Geschichte ein offenes Ende. Und so ist das auch bis heute eine offene Frage: Über Gott lachen - ja oder nein?
1. Mose 11,27-31 und 12,10-20 und 16,1-18,15 und 20,1-21,21 und 23
Vade retro satanas
Der Erzengel Michael tritt als Kämpfer gegen widergöttliche Mächte auf. Er kämpft gegen Engelmächte feindlicher Nationen, die dem Volk Gottes entgegenstehen (Daniel 10). Er ringt mit dem Teufel um den Leichnam des Mose (Judas 9). Er streitet gegen Satan und sein Heer und erreicht, dass sie aus dem Himmel geworfen werden (Offenbarung 12). Doch bei keinem seiner Kämpfe erringt Michael einen eindeutigen Sieg. Auch Satan, der Drache des Bösen, wird durch Michael nicht vernichtet, sondern kann sein Unheilswerk in der Welt fortführen.
Dieser eine Satz ist voller Weisheit: »Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht« (Offenbarung 12,7-8). Der Erzengel Michael erzielt keinen endgültigen Sieg. Es gelingt ihm nicht einmal, das Böse vom Bösen abzuhalten. Aber er sorgt dafür, dass nicht die widergöttlichen Mächte auf immer den Sieg davontragen.
Das Böse in der Welt kann nicht ausgelöscht werden. Das Böse in der Welt kann noch nicht einmal in Schach gehalten werden. Aber das Böse kann immer wieder zurückgedrängt und am dauerhaften Sieg über die Welt gehindert werden.
Liebe zu dritt
Den Königssohn Jonathan und den späteren König David verband eine tiefe Freundschaft. Eines Tages schmiedeten sie einen Plan und schworen einander darauf ein mit der Formel: »Siehe, dafür steht der HERR zwischen mir und dir ewiglich« (1. Samuel 20,23; ähnlich 20,42). Dieser Schwur hat viel Gutes:
Jonathan und David beziehen Gott in ihre Freundschaft ein. Das ist eine gute Basis für jede Beziehung. Sie beginnt und endet nicht bei ihnen, sondern ist in einen viel größeren Rahmen gestellt. Sie ist in Gottes Hand. Es ist gut, wenn menschliche Beziehungen auf diese Weise über sich selbst hinaus gewiesen sind. Denn das menschliche Vermögen zu Freundschaft und Liebe ist begrenzt. Durch Gott werden Grenzen weiter, wächst Beziehung.
So, wie Gott Freunde und Liebende miteinander verbindet, so trennt er sie auch: Er steht zwischen ihnen, schafft Abstand. Das ist gut, denn so hat keine:r den direkten Zugriff auf den/die andere:n: Man muss immer erst an Gott vorbei, um zum/zur anderen zu gelangen. Was zwischen ihnen geschieht, soll sich an Gott messen lassen.
Gott bietet auch einen verlässlichen Rahmen für Freundschaft und Liebe. Weil jemand sich und sein Leben Gott anvertraut, und weil der Freund das gleiche tut, und weil beide Seiten Gott in ihre Beziehung einbringen, wissen sie, dass sie sich auch einander anvertrauen können.
4G
Überraschend viele Christ:inn:en glauben an einen viereinigen Gott: Vater, Sohn, Heiliger Geist und Bibel. Ihre Fokussierung auf die Inhalte der Bibel als Wort Gottes ist dabei stark ausgeprägt. Doch die Bibel ist nicht das Maß aller Dinge. Sie ist mir heilig, aber sie ist ein Werkzeug. Weit über ihr steht Gott selbst. Ich verstehe, dass es leichter ist, sich an Buchstaben zu klammern, als an einen lebendigen Gott, der sehr viel komplizierter zu verstehen ist. Dass es zwischen beiden manchmal unauflösbare Diskrepanzen gibt, müssen wir als Christ:inn:en aber aushalten. Die Bibel ist kein Lexikon der systematischen Theologie. Bei ihr bleibt auch nach 2000 Jahren immer noch genug zum Nachdenken, Nichtverstehen, Verstehen und Glauben.
LGBTQ-Christen
Es ist traurig, dass Christ:inn:en andere Menschen leichthin zu lebenslangem Unglück verurteilen, wenn diese nicht ihrem christlichen Überideal entsprechen. Anscheinend haben viele Gläubige ein Problem mit Personen, die nicht ihrem gewohnt dualen Bild von geschlechtlicher und sexueller Orientierung entsprechen, und sie versagen ihnen das Christsein. Die verbleibende Alternative für LGBTQs wäre demnach leicht zu verstehen, aber bitter umzusetzen. Doch sollte Christsein bedeuten, sich dauerhaft einen Knoten ins Glied zu machen, sich auf immer die Vagina zuzuklammern, das eigene liebende Herz zu versteinern, sich selbst zu misstrauen und von Gott in einen nicht enden wollenden Konflikt mit sich selbst gestoßen zu werden, wie menschenfreundlich und liebend wäre Gott dann noch?
Herren der Schöpfung
Das Patriarchat profitierte jahrtausendelang vom Glauben an eine gottgewollte Ordnung, die den Mann über die Frau stellte. Die wohl bekannteste Geschichte dazu steht im Buch Genesis und erzählt von Adam und Eva im Garten Eden. Eva wird von der Schlange verführt, Adam wird von Eva verführt, beide essen die Frucht vom Baum der Erkenntnis und Gott erteilt ihnen Hausverbot. Erst im Kontext der Bestrafung wird die Ordnung zwischen dem übergeordneten Mann und der untergeordneten Frau verkündet. Und ein Detail wird dabei gern überlesen. Diese Ordnung ist kein Segen. Das Patriarchat ist ein Fluch. Männer bildeten sich lange etwas auf ihre Rolle als »Herren der Schöpfungsgeschichte« ein. Zu Unrecht, denn laut Urteil war der Mann als Herr der Fluch der Frau. Es hat lange gedauert, bis die Frage gestellt wurde, wie der Fluch überwunden werden kann.
Selektive Wahrnehmung
Der Evangelist Lukas legt in seiner Geschichte über Maria großen Wert auf die Feststellung, dass Gott ihre Schwangerschaft herbeigeführt hat. Ziel ist es, jeden Zweifel an der Gottheit Jesu auszuräumen. Doch es wird eine ganz andere Sache daraus. Statt des Kindes rückt die Mutter ins Zentrum und wird mit der Aura des Göttlichen umwoben. Die Marienfrömmigkeit bildet bis heute einen Wesenskern des katholischen Glaubens.
Maria ist allerdings nicht die einzige Frau, deren Schwangerschaft direkt auf Gott zurückgeht. Auch Saras Kind Isaak stammt von Gott selbst. Die Geschichte der hochbetagten Frau, die entgegen ihrer biologischen Uhr ein Kind von Gott bekommt, blieb von frömmelndem Tand verschont. Kaum jemand nimmt Kenntnis davon.
Genesis 21,1 & Lukas 1,26-38
Gott der Glücklichen
»Glück« und »Sinn« sind zwei Kategorien, die nicht im Zentrum des christlichen Glaubens stehen. Kern des christlichen Glaubens ist »Erlösung«. Das Christentum strebt nicht nach Glück und Sinn, sondern nach dem Heil in Jesus Christus.
»Glück« und »Sinn« beschreiben aber den individuellen Zustand eines Menschen. Ich bin glücklich oder unglücklich, ich empfinde mein Leben als sinnvoll oder nicht sinnvoll.
Der christliche Glaube kann sehr wohl glücklich machen und dem Leben einen Sinn verleihen. Er hat Glück und Sinn aber nicht gepachtet. Glück und Sinn gibt es auch außerhalb des Christseins.
Theodizee
»Warum lässt Gott all das Böse zu?« Angesichts des unermesslichen Leids in dieser Welt wird Gott hinterfragt, angeklagt, abgelehnt, geleugnet. Die Frage nach seinem Anteil am Schlechten in der Welt ist nachvollziehbar. Berechtigt ist sie erst dann, wenn auch die Gegenfrage mitgedacht wird: »Warum lässt Gott all das Gute zu?«
Es kann nicht sein, dass wir Gott willkürlich für die eine Seite verantwortlich machen und für die andere nicht. Zumindest ist mir kein stichhaltiges Argument bekannt, warum er ausgerechnet für das Schlechte in der Welt zuständig sein sollte. Es sei denn, Gott wird als unzuverlässiger Dienstleister für paradiesische Zustände verstanden. Doch selbst dann gebührt ihm Dank, wenn er seinen Job mal ordentlich gemacht hat und etwas Erfreuliches geschieht.
Die Frage hinter der Frage ist: Wie stark ist Gott in die Ereignisse dieser Welt verwickelt? Ist er es, dem man etwas Schönes zu verdanken hat? Ist er es, der jemandem etwas Böses antut? Handelt Gott also in dieser Welt? Oder ist er eher der passive Typ, der die Dinge geschehen lässt? Dann lässt er das Böse tatsächlich zu und dann lässt er auch das Gute lediglich zu, ohne daran beteiligt zu sein. Merkwürdigerweise sind viele Menschen an diesem Punkt plötzlich geneigt, Gott als aktiv Handelnden zu verstehen und ihn als jemanden zu denken, der Gutes tut.
Damit könnte die ursprüngliche Frage nun lauten: »Wie kann Gott, dem wir Gutes zutrauen, trotzdem das Böse zulassen?« Aus der Anklage wird eine Verständnisfrage. Wir verstehen Gott hier nicht.
Moralische Ladehemmung im Penis
Doch unabhängig davon, ob wir Gott etwas Gutes zutrauen oder nicht, müssen wir uns angesichts der Zustände in dieser Welt wohl eingestehen, dass Gott den Dingen weitestgehend ihren Lauf lässt und höchstens punktuell eingreift. Er lässt das Böse tatsächlich geschehen. Er lässt auch das Gute geschehen.
Mindestens die Hälfte des Leides in dieser Welt ist menschengemacht und der Prozentsatz steigt. Für Erdbeben und Vulkanausbrüche kann der Mensch nichts, sie sind Teil der Schöpfung Gottes und damit Teil seiner Verantwortung. Früher war der Mensch auch nicht für Überschwemmungen und Dürren verantwortlich, doch heute geht schon ein Teil der Umweltkatastrophen auf den Klimawandel zurück, den sich der Mensch zuschreiben muss. Vor allem aber leiden die Menschen unter sich selbst, leiden unter dem Elend, das sie sich gegenseitig oder selbst zufügen. Krieg, Misshandlung in jeder Form, Ungerechtigkeit jeder Art, verletzte Gefühle und viele Krankheiten verursacht nicht Gott. Die Verantwortung hierfür liegt beim Menschen. Der Mensch müsste sich selbst anklagen, nicht Gott. Und trotzdem bleibt unverständlich, warum Gott es zulässt, dass wir uns das Leben zur Hölle machen.
Was wäre die Alternative? Wie sehr soll Gott in die Ereignisse dieser Welt eingreifen? Wollen wir das wirklich? Und wo fängt das an und wo hört es auf? Soll er die Kontinentalplatten mit einem Weichmacher behandeln, damit es kein Seebeben gibt, das einen tödlichen Tsunami auslöst? Soll er uns die Stimme verschlagen, wenn wir etwas Verletzendes sagen wollen? Sollen der Penis erschlaffen und die Vagina vertrocknen, wenn zwei Liebende drauf und dran sind, ihre offiziellen Partner zu betrügen? Soll das Gewehr eine Ladehemmung haben, wenn ein russischer Soldat einen ukrainischen Zivilisten erschießen will? Soll das Feuerzeug versagen, wenn sich jemand eine Zigarette anzündet? Sollen millionenschwere Geldbeträge wie durch Zauberhand zur Welthungerhilfe umgeleitet werden, statt bei einem überbezahlten Fußballspieler zu landen?
Vielleicht lautet die Antwort auf all diese Fragen sogar »Ja«. Ja, vielleicht wäre es besser gewesen, einen Menschen zu erschaffen, der unfähig zum Bösen ist. Vielleicht wäre es besser gewesen, eine Welt zu erschaffen, die ohne Seuchen, Krebs, Altersschwäche, Vulkane, Erdbeben, Dürren und Fluten funktioniert.
Die monotheistischen Religionen haben solch paradiesische Zustände auf die himmlische Ewigkeit vertagt. Und keinem Menschen ist es bisher gelungen, vorab einen Himmel auf Erden zu schaffen. Offenbar ist dieser zweifelhafte Umweg durch eine unvollkommene, leidvolle Welt unumgänglich. »Augen zu und durch, geht ja nicht anders, aber auf der anderen Seite soll es ja besser werden.«
Leid ist unsinnig
Doch damit kann sich der Mensch offenbar nur schwerlich abfinden. Nicht umsonst haben sich viele eine Antwort auf die Frage nach dem Leid zurechtgelegt:
- »Es ist unsere Verantwortung, nicht Gottes, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen.« Ja, das stimmt, und der Dank gebührt all jenen, die sich unermüdlich dafür einsetzen. Doch das Leid lindern sie nur teilweise, der Schmerz bleibt trotzdem in der Welt.
- »Lass dich nicht aufs Jenseits vertrösten, lebe heute, lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter.« Yep, das sehen die Menschen in der Sahel-Zone genauso.
- »Gott schickt uns das Leid, um uns zu prüfen und damit wir daran wachsen. Er auferlegt uns nicht mehr, als wir tragen können.« Es stimmt, dass Leid eine Prüfung ist und dass man daran reifen kann. Es stimmt aber auch, dass Menschen am Leid zerbrechen und sich nicht wieder davon erholen.
- »Dies ist die beste aller möglichen Welten, die Gott hätte erschaffen können.« Das stimmt leider nicht, denn wenn es einen paradiesischen Himmel gibt, dann ist er die beste aller Welten (sorry Clive Staples).
Welche Antwort auch immer auf die Frage nach dem Leid gegeben wird, sie zielt darauf, dem Schmerz einen Sinn abzuringen. Das Leid soll überwunden oder zumindest gelindert werden, indem eine Bedeutung hinter ihm angenommen wird. Der Mensch will sich damit trösten, dass der ganze Mist am Ende für etwas gut ist.
Gott ist in diesem Kontext das Symbol für das höchste, letzte und unverrückbare Sinnangebot. Wer, wenn nicht er, verfügt über den Sinn des Schmerzes. Doch wenn sich dann herausstellt, dass alle Sinnangebote das Leid nicht deutlich lindern und Gott ärgerlich schweigsam bleibt, dann liegt die Frage nahe, warum zum Teufel er den Schmerz denn nun zulässt. Und darüber zerbrechen sich die Gelehrten seit Jahrtausenden vergeblich den Kopf, ohne eine Antwort zu finden, gegen die sich nichts mehr einwenden lässt und die alle Betroffenen ein bisschen glücklicher macht. Selbst der am Kreuz leidende Jesus verstand die Welt nicht mehr und klagte darüber, dass Gott ihn verlassen hat.
Womöglich ist die Frage schon der eigentliche Fehler. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Leiden überhaupt keinen Sinn ergibt. Die Sinnlosigkeit ist ein ureigenster Charakterzug des Leides. Das Leid kann wie der Sturz in ein bodenloses Loch sein, in dem niemand auf rosarote Sinnwölkchen gebettet wird, um den Fall zu bremsen. Es ist die Sinnlosigkeit, die das Leid zu einem furchtbaren, aber in sich schlüssigen Konzept macht. Leid ist ebenso vorfindlicher Bestandteil dieser Welt wie das Gute. Das willkürlich verteilte Gute lässt sich nicht erklären, warum also sollte sich das ungerecht verteilte Schlechte erklären lassen und eine nachvollziehbar sinnstiftende Antwort geben.
Natürlich gibt es Situationen, in denen jemand bewusst Leid auf sich nimmt, weil dadurch an anderer Stelle etwas besser wird oder am Ende der Durststrecke etwas Erstrebenswertes wartet. In solchen Fällen kann Leid durchaus als etwas Sinnvolles erlebt werden. Das Leid hat dann einen klaren, individuellen Deutungsrahmen und gibt die Möglichkeit einer Entscheidung dafür oder dagegen.
Doch auf die umfassendere Frage nach dem ungefragt erlittenen Leid und warum Gott es zulässt, gibt es keine befriedigende Antwort. Die Welt folgt ihren eigenen Regeln und bringt Gutes und Schlechtes hervor, ohne Sinn und Verstand. Womöglich ist die einzig angemessene Reaktion darauf eine innige Bitte: »Mach ein Ende mit dieser Welt, lieber Gott, und schaff uns eine bessere.«
Lass mich auch mal
In sechs Tagen schuf Gott die Welt nach seinem Willen, steht in der Bibel. Die Evolutionstheorie tauscht Tage gegen Jahrmilliarden, Willen gegen Mutation, Gott gegen Zufall. Das Ergebnis ist identisch, der Ursprung ganz und gar nicht, was dazwischen liegt, bleibt offen. Ein Konsens ist aber möglich zwischen dem schöpferischen Willen Gottes und einer sich entfaltenden Welt.
Sterbehilfe
Ist es angemessen, dass die Gesunden über die Kranken befinden, dass die Lebenden über die Sterbenden befinden und dass die erträglich Leidenden über die unerträglich Leidenden befinden?
Es gibt zahlreiche Menschen, die ein Leid mit sich herumtragen und nicht darauf hoffen können, dass es vor dem Tod aufhört. Ihre Verzweiflung verlangt nach einem Ausweg. Der Staat tut gut daran, den Todeswunsch mancher Menschen ernst zu nehmen und einen rechtlich ausgewogenen Rahmen für die Selbsttötung zu schaffen. Wie schwer das ist, zeigt das anhaltende politische Dilemma.
Selbst wenn es schwerfällt, so sollten auch Christen akzeptieren, dass Gott oft nicht heilt und dass Gott oft nicht hilft. Die Botschaft der Gesunden an die Kranken will dann sehr gut überlegt sein. Fromme Lehren kann ich mir selbst predigen, wenn ich in eine solche Situation gerate, aber nicht einem anderen, dessen Elend ich weder ermessen kann noch teile.
Wipe Away All Tears
Lyrics & Music: Astrid Grützner & Dirk Röse
Recorded: 1997
© 1990, 1997
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Let Us Pray
Lyrics & Music: Buddy Kaye & Ben Weisman
Recorded: 2021
© 1969 Elvis Presley
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Who's That Man
Lyrics & Music: Dirk Röse
Recorded: 1997
© 1984, 1985, 1997
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The Place Called The Skull (Maria's Song)
Lyrics & Music: Dirk Röse
Recorded: 1998
© 1998
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Praise The Lord
Music: Dirk Röse
Recorded: 1997
© 1986
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